Annette von Droste-Hülshoff
Der Knabe im Moor
O schaurig ist's übers Moor zu gehn,
Wenn es wimmelt vom Heiderauche,
Sich wie Phantome die Dünste drehn
Und die Ranke häkelt am Strauche,
Unter jedem Tritte ein Quellchen springt,
Wenn aus der Spalte es zischt und singt,
O schaurig ist's, übers Moor zu gehn,
Wenn das Röhricht knistert im Hauche!
Fest hält die Fibel das zitternde Kind
Und rennt, als ob man es jage;
Hohl über die Fläche sauset der Wind
Was raschelt drüben am Hage?
Das ist der gespenstige Gräberknecht,
Der dem Meister die besten Torfe verzecht;
Hu, hu, es bricht wie ein irres Rind!
Hinducket das Knäblein zage.
Vom Ufer starret Gestumpf hervor,
Unheimlich nicket die Föhre,
Der Knabe rennt, gespannt das Ohr,
Durch Riesenhalme wie Speere;
Und wie es rieselt und knittert darin!
Das ist die unselige Spinnerin,
Das ist die gebannte Spinnlenor',
Die den Haspel dreht im Geröhre!
Voran, voran! nur immer im Lauf,
Voran, als woll' es ihn holen!
Vor seinem Fuße brodelt es auf,
Es pfeift ihm unter den Sohlen
Wie eine gespenstige Melodei;
Das ist der Geigenmann ungetreu,
Das ist der diebische Fiedler Knauf,
Der den Hochzeitheller gestohlen!
Da birst das Moor, ein Seufzer geht
Hervor aus der klaffenden Höhle;
Weh, weh, da ruft die verdammte Margret:
»Ho, ho, meine arme Seele!«
Der Knabe springt wie ein wundes Reh;
Wär' nicht Schutzengel in seiner Näh',
Seine bleichenden Knöchelchen fände spät
Ein Gräber im Moorgeschwele.
Da mählich gründet der Boden sich,
Und drüben, neben der Weide,
Die Lampe flimmert so heimatlich,
Der Knabe steht an der Scheide.
Tief atmet er auf, zum Moor zurück
Noch immer wirft er den scheuen Blick:
Ja, im Geröhre war's fürchterlich,
O schaurig war's in der Heide!
Daguerreotypie von Annette von Droste-Hülshoff
1845, hier gefunden
1845, hier gefunden
Ich wollte mit dieser bekannten Ballade nur anzeigen, daß Annette von Droste-Hülshoff heute am 10. Januar 1797 auf Burg Hülshoff bei Münster geboren wurde. Und da in der Regel nur das hier Erwähnung findet, was mich aus den unterschiedlichsten Gründen interessiert, darf man somit davon ausgehen, daß ich sie als Dichterin sehr schätze.
Ansonsten will ich diesmal nicht allzuviel sagen, nur das noch, es ist interessant, wie die Photographie unsere Wahrnehmung verändert. Dem Gemälde eingangs steht oben eine der frühen Daguerreotypien, aufgenommen 3 Jahre vor ihrem Tod am 24. Mai 1848, gegenüber. Und es vermittelt sich mir jedenfalls jeweils ein gänzlich anderer Eindruck. Beide Bilder lösen eine Atmosphäre aus ganz unterschiedlichen Assoziationen aus, als stünde sie gleichsam zwischen den Zeitaltern, seltsam.
Grabstein in Meersburg
hier gefunden
hier gefunden
Nur ein kleiner Nachtrag, weil ich heute energisch auf das falsche Geburtsdatum angesprochen wurde: Man kann es sich im Grunde aussuchen, im Kirchbuch, so lese ich, war der ursprüngliche 10. Januar auf den 14. korrigiert worden, die Familie gab den 12. Januar an. Aber bei dieser Gelegenheit noch 2 angenehme Links, zu einem Photo und zu dieser interessanten Seite, ach und es existiert auch eine "Annette von Droste-Gesellschaft", die hier zu finden ist.
3 Kommentare:
All meine Rede und jegliches Wort
und jeder Druck meiner Hände.
Und meiner Augen kosender Blick,
und alles, was ich geschrieben:
das ist kein Hauch und ist keine Luft,
und ist kein Zucken der Finger,
das ist meines Herzens flammendes Blut,
das dringt hervor durch tausend Tore.
Gedicht "Herzlich"
aus "Klänge aus dem Orient" (1838)
von Annette von Droste-Hülshoff
Vielen Dank, ich bin jedesmal sehr froh, wenn meine manchmal etwas nüchternen Beiträge so ins Persönlich-Herzliche zurechtgerückt werden, wie etwa durch einen Ihrer hochgeschätzten Kommentare.
Thx! Propz Pilgrim
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