Barthold Hinrich Brockes
Gedanken bey dem Fall der Blätter im Herbst
In einem angenehmen Herbst, bey ganz entwölktem heiterm Wetter,
Indem ich im verdünnten Schatten, bald Blätter-loser Bäume, geh',
Und des so schön gefärbten Laubes annoch vorhandnen Rest beseh';
Befällt mich schnell ein sanfter Regen, von selbst herabgesunkner Blätter.
Ein reges Schweben füllt die Luft. Es zirkelt, schwärmt' und drehte sich
Ihr bunt, sanft abwärts sinkend Heer; doch selten im geraden Strich.
Es schien die Luft, sich zu bemühn, den Schmuck, der sie bisher gezieret,
So lang es möglich, zu behalten, und hindert' ihren schnellen Fall.
Hiedurch ward ihre leichte Last, im weiten Luft-Kreis überall,
In kleinen Zirkelchen bewegt, in sanften Wirbeln umgeführet,
Bevor ein jedes seinen Zweck, und seiner Mutter Schooß, berühret;
Um sie, bevor sie aufgelöst, und sich dem Sichtlichen entrücken,
Mit Decken, die weit schöner noch, als persianische, zu schmücken.
Ich hatte diesem sanften Sinken, der Blätter lieblichem Gewühl,
Und dem dadurch, in heitrer Luft, erregten angenehmen Spiel,
Der bunten Tropfen schwebendem, im lindem Fall formiertem, Drehn,
Mit offnem Aug', und ernstem Denken, nun eine Zeitlang zugesehn;
Als ihr von dem geliebten Baum freywilligs Scheiden (da durch Wind,
Durch Regen, durch den scharfen Nord, sie nicht herabgestreifet sind;
Nein, willig ihren Sitz verlassen, in ihren ungezwungnen Fällen)
Nach ernstem Denken, mich bewog, sie mir zum Bilde vorzustellen,
Von einem wohlgeführten Alter, und sanftem Sterben; Die hingegen,
Die, durch der Stürme strengen Hauch, durch scharfen Frost, durch schwehren Regen
Von ihren Zweigen abgestreift und abgerissen, kommen mir,
Wie Menschen, die durch Krieg und Brand und Stahl gewaltsam fallen, für.
Wie glücklich, dacht' ich, sind die Menschen, die den freywillgen Blättern gleichen,
Und, wenn sie ihres Lebens Ziel, in sanfter Ruh' und Fried', erreichen;
Der Ordnung der Natur zufolge, gelassen scheiden, und erbleichen!
Georg Heym
Träumerei in Hellblau
Alle Landschaften haben
Sich mit Blau gefüllt.
Alle Büsche und Bäume des Stromes,
Der weit in den Norden schwillt.
Blaue Länder der Wolken,
Weiße Segel dicht,
Die Gestade des Himmels in Fernen
Zergehen in Wind und Licht.
Wenn die Abende sinken
Und wir schlafen ein,
Gehen die Träume, die schönen,
Mit leichten Füßen herein.
Zymbeln lassen sie klingen
In den Händen licht.
Manche flüstern, und halten
Kerzen vor ihr Gesicht.
Das Gedicht eingangs stammt von Barthold Heinrich Brockes, gestorben am 16. Januar 1747 in Hamburg. Wenn man ihn kennt, dann als Verfasser des „Irdischen Vergnügens in Gott“, überwiegend eine lyrische Meditation über Gottes Schöpfung. Vor einem Jahr um diese Zeit habe ich etwas davon zitiert, und diese beiden Arien von Georg Friedrich Händel stehen deshalb hier, weil er neun Stücke daraus als „Deutsche Arien“ (HWV 202–210) vertont hat.
Georg Heym starb ebenfalls an einem 16. Januar, am 16. Januar 1912 in Berlin. Obwohl er zweifelsohne ein bedeutsamer expressionistischer Lyriker war, muß ich gestehen, ihn meist zu respektieren, aber nur mitunter zu mögen, dieses Gedicht von ihm ist sehr schön.
Arnold Böcklin, "Villa am Meer", 1878
hier gefunden
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Und dann verschied auch noch Arnold Böcklin am 16. Januar 1901 in San Domenico bei Fiesole. Hier müßte ich eigentlich weiter ausholen. Aber ehe dieser Post aus allen Nähten gerät, kann ich mich gewissermaßen am eigenen Schopfe aus dem Sumpf ziehen und auf meine Bemerkungen verweisen, die ich vor etwas mehr als einem halben Jahr machte. Nur soviel, geht es nur mir so oder scheint sich das Gartenlauben-Bild tatsächlich mit der Schöpfung des Herrn Brockes gleichsam zu unterhalten.
Arnold Böcklin, "In der Gartenlaube",um 1891
hier gefunden
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