translated
Mark Aurel wurde am 26. April 121 geboren. Das wäre ein äußerer Anlaß, sich der Gestalt dieses Kaisers zu versichern, aber da er zu den wenigen zählt, die über Jahrhunderte nie ihre Anziehungskraft verloren haben, nachdem man sich seiner wieder erinnert hatte, bedürfte es eines solchen Anlasses eigentlich nicht. Ich kann nicht genau erklären, worin seine Faszination ihren Grund hat. Die Stoa als solche hat leicht einen Zug ins Bitter-Pedantische. Und wenn man sich einige seiner Gedankengänge nüchtern anschaut, so erscheint es, als würde er nur eine gleichmäßige Distanz zu allem Äußeren fordern, um ein wenig Seelenfrieden zu erlangen, eine besondere Form von philosophischem Autismus:
„Man liebt es, sich zuzeiten aufs Land, ins Gebirge, an die See zurückzuziehn. Auch du sehnst dich vielleicht dahin. Im Grunde genommen aber steckt dahinter eine große Beschränktheit. Es steht dir ja frei, zu jeglicher Stunde dich in dich selbst zurückzuziehn, und nirgends finden wir eine so friedliche und ungestörte Zuflucht als in der eignen Seele, sobald wir nur etwas von dem in uns tragen, was wir nur anzuschauen brauchen, um uns in eine vollkommen ruhige und glückliche Stimmung versetzt zu sehn - eine Stimmung, die nach meiner Ansicht freilich ein anständiges, sittliches Wesen bedingt. Auf diese Weise also ziehe dich beständig zurück, um dich immer wieder aufzufrischen. Einfach und klar und bestimmt aber seien jene Ideen, die aus deiner Seele so manches hinweg spülen, wenn du sie dir vergegenwärtigst, und dir eine Zuflucht schaffen sollen, aus der du nicht übel launisch zurückkehrst. Und was sollte dich auch alsdann verdrießen? ‚Die Schlechtigkeit der Menschen?‘ Aber wenn du bedenkst, daß die vernünftigen Wesen füreinander geboren sind, daß das Ertragen des Unrechts zur Gerechtigkeit gehört, daß die Menschen unfreiwillig sündigen, und dann - wie viel streitsüchtige, argwöhnische, gehässige und gewalttätige Menschen dahin gemußt haben und nun ein Raub der Verwesung sind - wirst du da deine Abneigung nicht los werden? ‚Oder ist es dein Schicksal?‘ So erinnere dich nur jenes Zwiefachen: entweder wir sagen: es gibt eine Vorsehung, oder: wir sehen uns als Teile und Glieder eines Ganzen an, und unserer Betrachtung der Welt liegt die Idee eines Reiches zugrunde. ‚Oder ist es dein Leib, der irgendwie schmerzt?‘ Aber du weißt ja, der Geist, wenn er sich selbst begriffen und seine Macht kennengelernt hat, hängt nicht ab von sanfteren oder rauheren Lüften; auch weißt du, wie wir über Schmerz und Freude denken, und bist einverstanden damit. ‚Oder macht dir der Ehrgeiz zu schaffen?‘ Aber wie schnell breitet Vergessenheit über alles ihren Schleier! wie unablässig drängt eins das andere in dieser Welt ohne Anfang und ohne Ende! Wie nichtig ist jeder Nachklang unseres Tuns! wie veränderlich und wie urteilslos jede Meinung, die sich über uns bildet und wie eng der Kreis, in dem sie sich bildet! Die ganze Erde ist ja nur ein Punkt im All, und wie klein ist nun wieder der Winkel auf ihr, wo von uns die Rede sein kann! Wie viele können es sein, und was für welche, die unsern Ruhm verkünden? In der Tat also gilt es sich zurückzuziehen auf eben diesen kleinen Raum, der unser ist, und hier sich weder zerstreuen, noch einspannen zu lassen, sondern sich frei zu bewegen und die Dinge anzusehen wie ein Mensch, wie ein Glied der Gesellschaft, wie ein sterbliches Wesen. Unter allen Wahrheiten aber, die dir am geläufigsten sind, müssen jedenfalls die beiden sein: die eine: daß Außendinge die Seele nicht berühren dürfen, sondern wirklich Außendinge sein und bleiben müssen. Denn Widerwärtigkeiten gibt es nur für den, der sie dafür hält. Die andere: daß alles, was du siehst, sich bald verwandeln und nicht mehr sein werde, wie du selbst schon eine Menge Wandlungen durchgemacht hast. Mit einem Wort: die Welt ist ein ewiger Wechsel, das Leben ein Wahn!
Selbstbetrachtungen IV, 3
Als ich vor einem Jahr an diesen Kaiser erinnerte, hatte ich einen kleinen Disput mit einem Freund. Ihm erschien das, was Marc Aurel schrieb, nur als Variationen über die Vergeblichkeit. Das hatte mich überrascht, denn ich war es gewöhnt, in seinen Gedanken etwas Tröstliches zu sehen. Der Trost, den das Denken geben kann, wenn die Seele sich ganz auf sich zurückzieht. Der Trost, den der Geist gewinnt, wenn er dem angreifenden Leben seine Vergänglichkeit vorhält und so standhält. Ein sehr vorchristlicher Trost, in der Tat, aber einer, der immer noch wirksam ist.
Vielleicht ist es das Bild dieses Kaisers, der gegen die äußeren Widerstände auf seinem Posten aushält und dabei die Selbstgewißheit eines tapferen Gemüts vorzeigt. Jeder Mensch muß sein Leben auch durch Widrigkeiten durchkämpfen, und daß man die Mittel dazu aus sich selber schöpfen kann, das verspricht uns Marc Aurel, und manchmal möchten wir ihm fast glauben.
"Nichts geschieht uns, was wir von Natur aus nicht zu ertragen vermögen."
Selbstbetrachtungen V, 18
"Übe dich auch in den Dingen, an denen du verzweifelst."
Selbstbetrachtungen XII, 6
"Was für ein lächerlicher Fremdling auf Erden ist der, der über irgendein Ereignis in seinem Leben erstaunt."
Selbstbetrachtungen XII, 13
„Blicke in dein Inneres! Dort ist eine Quelle des Guten, die nie aufhört zu sprudeln, wenn du nur nicht aufhörst nachzugraben.“
Selbstbetrachtungen VII, 59
4 Kommentare:
Marcus Aurelius - Translation
Marcus Aurelius was born on April 26th 121. That could be a formal cause to commemorate this emperor, but since he is one of the few who have for centuries never lost their appeal, after people had reminded him again, we don’t need such an occasion. I cannot explain exactly what fascinated me on him. The Stoics have a slight tendency to the bitter pedantic. And if one looks at his thoughts with a cool sense, it seems as if he would demand an equal distance to all what appears, just to get a little peace of mind, a special form of philosophical autism:
"Men seek retreats for themselves, houses in the country, sea-shores, and mountains; and thou too art wont to desire such things very much. But this is altogether a mark of the most common sort of men, for it is in thy power whenever thou shalt choose to retire into thyself. For nowhere either with more quiet or more freedom from trouble does a man retire than into his own soul, particularly when he has within him such thoughts that by looking into them he is immediately in perfect tranquillity; and I affirm that tranquillity is nothing else than the good ordering of the mind. Constantly then give to thyself this retreat, and renew thyself; and let thy principles be brief and fundamental, which, as soon as thou shalt recur to them, will be sufficient to cleanse the soul completely, and to send thee back free from all discontent with the things to which thou returnest. For with what art thou discontented? With the badness of men? Recall to thy mind this conclusion, that rational animals exist for one another, and that to endure is a part of justice, and that men do wrong involuntarily; and consider how many already, after mutual enmity, suspicion, hatred, and fighting, have been stretched dead, reduced to ashes; and be quiet at last.--But perhaps thou art dissatisfied with that which is assigned to thee out of the universe.--Recall to thy recollection this alternative; either there is providence or atoms [fortuitous concurrence of things]; or remember the arguments by which it has been proved that the world is a kind of political community [and be quiet at last].--But perhaps corporeal things will still fasten upon thee.--Consider then further that the mind mingles not with the breath, whether moving gently or violently, when it has once drawn itself apart and discovered its own power, and think also of all that thou hast heard and assented to about pain and pleasure [and be quiet at last].—But perhaps the desire of the thing called fame will torment thee. --See how soon everything is forgotten, and look at the chaos of infinite time on each side of [the present], and the emptiness of applause, and the changeableness and want of judgment in those who pretend to give praise, and the narrowness of the space within which it is circumscribed [and be quiet at last]. For the whole earth is a point, and how small a nook in it is this thy dwelling, and how few are there in it, and what kind of people are they who will praise thee. This then remains: Remember to retire into this little territory of thy own, and above all do not distract or strain thyself, but be free, and look at things as a man, as a human being, as a citizen, as a mortal. But among the things readiest to thy hand to which thou shalt turn, let there be these, which are two. One is that things do not touch the soul, for they are external and remain immovable; but our perturbations come only from the opinion which is within. The other is that all these things which thou seest, change immediately and will no longer be; and constantly bear in mind how many of these changes thou hast already witnessed. This world is mere change, and this life, opinion."
Meditations IV, 3
Translation - part 2
When I remembered at this emperor a year ago, I had a small argument with a friend. For him all that Marcus Aurelius wrote were just variations of futility. This surprised me, because I was accustomed to see in his thoughts something comforting. The consolation that may spend thinking, when the soul completely retired to itself. The comfort the spirit earns, if he faced the attacking life with its impermanence and withstands so. A very pre-Christian consolation, indeed, but one that is still effective.
Perhaps it is the picture of this emperor, who stands against the external adversities on his post showing the self-confidence of a brave mind. Everybody has to fight his life through adversities, and that one can find help for this in himself, this promises us Marcus Aurelius, and sometimes we want to believe him, almost.
"Nothing happens to any man which he is not formed by nature to bear."
V, 18.
"Practise thyself even in the things which thou despairest of accomplishing."
XII, 6.
"How ridiculous and what a stranger he is who is surprised at anything which happens in life."
XII, 13.
"Look within. Within is the fountain of good, and it will ever bubble up, if thou wilt ever dig."
VII, 59.
Translations of the thoughts of the Emperor Marcus Aurelius Antoninus (http://en.wikipedia.org/wiki/Marcus_Aurelius) you will find under his name here http://www.gutenberg.org/browse/authors/m#a998
Thanks. How interesting. And, indeed, how consoling.
"Pre-Christian"? Thats a very interesting question.
Compare Lukas 17:21: "Denn sehet, das Reich Gottes ist inwendig in euch" with Mark Aurel: "Es steht dir ja frei, zu jeglicher Stunde dich in dich selbst zurückzuziehn".
What is the withdrawal into oneself that Mark Aurel speaks of? That is - and he may well have spoken more about it, I just don't know - for him so easily accessible that he does not even tell us how to get there?
Who or what withdraws here? Into what or whom?
Are there TWO entities? Does (neurologically) one part of the brain examine another? Does (metaphorically) the Ego enter the reams of the Self? Does (theologically) the human spirit dwell in the All-Present?
What do YOU think?
Verzeihen Sie bitte meine späte Reaktion. Dieser Rückzug in sich selbst ist vermutlich im Sinne Ihrer letzten Bemerkung gemeint. Da er als Stoiker wohl an so etwas wie eine Allvernunft glaubte, soll sich der einzelne mit der Essenz der Welt wieder in Übereinstimmung bringen und sich dazu von allem Äußeren lösen, ohne wiederum tatenlos zu werden. "Vorchristlich", weil der Mensch gewissermaßen dazu das Heil in sich selber suchen muß, während der christliche Glaube meint, daß es uns von außen, von Christus her geschnenkt wird, ein wenig holzschnittartig gesagt. Was mich immer wieder erstaunt, ist, daß Marc Aurels Worte diese unglaublich tröstende Wirkung entfalten (das abstrakte Gedankengebäude dahinter nicht gleichermaßen)und darüber hinaus so etwas wie einen kräftigen Anstoß, "sich gefälligst zusammenzureißen", man selbst zu sein, bewirken.
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