Sonntag, 5. Juni 2011

Exaudi

Herr Roloff hat zum heutigen Sonntag Exaudi eine etwas längere, aber sehr passende Predigt gefunden, die ich nachfolgend darum gern mitteilen will, um so mehr, als ich den heutigen Gottesdienst versäume (ich fühle mich entsprechend unbehaglich). Vorher nur ein paar einleitende, eher unbedarfte Sätze. Bonifatius oder Winfried wurde wohl am 5. Juni 754 geboren, ich habe gerade den großen Unterhaltungswert eines älteren Beitrages von mir dazu entdeckt. Und da die Predigt lang ist, folgt sie jetzt doch unverzüglich:

Solches redete Jesus und hub seine Augen auf gen Himmel und sprach: Vater, die Stunde ist hier, daß du deinen Sohn verklärest… Heiliger Vater, erhalte sie in deinem Namen, die du mir gegeben hast, daß sie eins seien gleichwie wir! Dieweil ich bei ihnen war in der Welt, erhielt ich sie in deinem Namen. Die du mir gegeben hast, die habe ich bewahret, und ist keiner von ihnen verloren ohne das verlorne Kind, daß die Schrift erfüllet würde. Nun aber komme ich zu dir und rede solches in der Welt, auf daß sie in ihnen haben meine Freude vollkommen. Ich hab' ihnen gegeben dein Wort, und die Welt hasset sie; denn sie sind nicht von der Welt, wie denn auch ich nicht von der Welt bin. Ich bitte nicht, daß du sie von der Welt nehmest, sondern daß du sie bewahrest vor dem Übel. Sie sind nicht von der Welt, gleichwie auch ich nicht von der Welt bin. Heilige sie in deiner Wahrheit; dein Wort ist die Wahrheit. Gleichwie du mich gesandt hast in die Welt, so sende ich sie auch in die Welt. Ich heilige mich selbst für sie, auf daß auch sie geheiliget seien in der Wahrheit. Ich bitte aber nicht alleine für sie, sondern auch für die, so durch ihr Wort an mich glauben werden, auf daß sie alle eins seien gleichwie du, Vater, in mir und ich in dir, daß auch sie in uns eins seien, auf daß die Welt glaube, du habest mich gesandt. Und ich hab' ihnen gegeben die Herrlichkeit, die du mir gegeben hast, daß sie eins seien, gleichwie wir eins sind, ich in ihnen und du in mir, auf daß sie vollkommen seien in eins, und die Welt erkenne, daß du mich gesandt hast und liebest sie, gleichwie du mich liebest.

Joh 17, 1a.11b-23

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserem Vater und unserem Herrn Jesus Christus. Amen

Liebe Gemeinde,

mit den Sätzen, die der heutigen Predigt zu Grunde liegen, werden wir die Zeugen eines Gebetes, das den Namen „Das hohepriesterliche Gebet“ trägt. Bereits darin drückt sich aus, dass Christus unser wahrer Hohepriester ist, der in seinem Tod das einzige gültige Opfer gebracht und mit seiner Auferstehung die Erlösung vom Tode gewirkt hat. Das ist das große Geheimnis, das die Kirche der Welt verkündet, bis er wiederkommt.

Wie aber kann etwas Geheimnis bleiben, was die Kirche doch kund gibt? Es muss zunächst Geheimnis bleiben in der demütigen Feststellung, dass wir nichts wissen. Nur wenn wir diese Tatsache ganz und gar verinnerlicht haben, dann kann unser Tasten und Suchen beginnen, und es kann nur Erfolg haben, wenn wir anerkennen, dass wir tasten und suchen in Dingen, die wir nicht wissen können.

Darum hält Christus auch keinen erklärenden Vortrag am Ende seiner Zeit auf Erden, sondern er betet für die Seinen, er betet für uns.

„Heiliger Vater, erhalte sie in deinem Namen, den du mir gegeben hast, dass sie eins seien gleichwie wir.“

Wir sollen im Gottesnamen erhalten werden. Das ist der Name, den Gott Moses im Dornbusch anvertraut hat, und der im Volke Israel bewahrt aber nicht mehr ausgesprochen wurde. Nur ein einziges Mal, am Yom Kippur, trat der Hohepriester hinter den Vorhang im Tempel und sprach dreimal den Namen Gottes aus. Diesen Namen hat Gott dem Herrn gegeben, er hat seinen Namen Mensch werden lassen. In Christus ist mit seinem Namen Gott selbst unter uns getreten und hat sich kund gemacht in dem nun für alle Zeiten offenbaren Geheimnis eines Menschen. Der Mensch ist nun durch Christus ganz und gar in das innerste Wesen dieses Gottes mit hineingenommen.

Worin besteht aber dieses innerste Wesen unseres Gottes? Es besteht in seiner Einheit und in seiner Einzigartigkeit! Vater und Sohn sind Eins. Das bedeutet etwas ganz und gar Faszinierendes! Die Einheit der Verschiedenheiten in Gott sagt aus, dass der Gottesname, das Wesen Gottes, nicht nur der Welt als etwas ganz Andersartiges gegenüber steht, gleichsam das Gegenteil der Wirklichkeit, der Schöpfung ist, sondern Gott lässt genau diese Wirklichkeit zu sich, nimmt sie auf und gibt allem wieder die ursprüngliche Einheit zurück.

Das übrigens ist ein wenig nachzuvollziehen im Namensrecht. Wenn zwei Menschen durch ihre Heirat sich einen gemeinsamen Namen suchen, dann drücken sie damit genau diese Hoffnung aus, dass sie, obwohl sie verschieden sind, dennoch Eins werden können, ja vielmehr noch, erst nachdem ein Mensch den anderen gefunden hat wird er ganz der Mensch, der er ist. Aus dieser Einheit heraus entsteht neues Leben. Darum ist die Ehe ein so eindrucksvolles Bild und Gleichnis für das, was Gott in der Welt tut – aber es ist nur ein Bild.

Nur durch die Einheit von Vater und Sohn, nur in der Einheit von Vater und Sohn kann der Herr für uns erbitten, dass auch wir in diesem Namen und in dieser Einheit Zuflucht fänden. So kann denn Christus feststellen, dass er alle im Namen des Vaters erhielt, solange er auf Erden war und ihm keiner verloren gegangen ist.

Christus betet dann weiter: „Nun aber komme ich zu dir und rede solches in der Welt, auf dass sie in sich haben meine Freude vollkommen. Ich habe ihnen gegeben dein Wort, und die Welt hasst sie; denn sie sind nicht von der Welt, wie denn auch ich nicht von der Welt bin. Ich bitte dich nicht, dass du sie von der Welt nehmest, sondern dass du sie bewahrest vor dem Bösen.“

Es sind geheimnisvolle Worte, die Christus an seinen Vater richtet, und dennoch geben sie eine Vorstellung davon, wie Gott in Christus die Welt lenkt, alles zum Guten kehrt, das Böse besiegt. Wir bekommen eine Ahnung davon, dass es das Böse gibt als eine Gewalt, die den Weg Gottes zu Versöhnung und Einheit nicht will, die den Irrtum sucht und die Gottesferne. Wenn man diese Vorstellung konkretisieren will, um sie vielleicht auch jenen zu verdeutlichen, die das theologische Reden als sehr theoretisch ansehen und daher Mühe haben, dem Lauf der Gedanken zu folgen, dann muss man daran erinnern, dass Kinder oft, nur weil sie sich von ihren Eltern, von der Gesellschaft, von allem Möglichen, emanzipieren wollen, anfangen Dinge zu tun, die nicht gut sind. Sie steigern sich in mancherlei hinein und halten für Freiheitsdrang, was doch nur Selbstzerstörung ist. Eltern erleben dann, wie viel Liebe und Geduld es braucht, um wieder eine gemeinsame Ordnung zu finden, die Erwachsensein und Unabhängigkeit ermöglicht, ohne das Band der familiären Einheit zu zerstören.

Dann folgt eine sehr bemerkenswerte Bitte: „Heilige sie in der Wahrheit; dein Wort ist die Wahrheit.“

Zwei Dinge werden uns schon in der Bitte deutlich, die Christus an seinen Vater richtet.
1. In der Wahrheit zu sein heißt bereits heilig zu sein. Ein Mensch, der sich furchtlos der Wirklichkeit, auch der eigenen Wirklichkeit stellt, wird heilig, weil er gewärtig ist, in allem Gott zu begegnen.
2. Dein Wort ist die Wahrheit, bedeutet letztlich, dein Wort ist alles. Wo wir dich und dein Wort verlassen, da landen wir im Nichts, im Irrtum, im Tod.

Der Mensch muss sich gewärtig sein, dass die Welt, auch und gerade die Welt des Glaubens, nicht ein Supermarkt ist, in dem er frei auswählen kann, wie es uns die Moderne gern einreden will, der eine hätte dann das, der andere etwas anderes, sondern der Mensch hat immer entweder die Wahrheit oder nichts.

Wenn Christus nun weiterbetet und kund tut, „gleichwie du mich gesandt hast, so sende ich sie auch in die Welt“, dann werden damit Rolle und Auftrag klar, die wir Christen haben. Wir sind Stellvertreter Jesu, wir sind seine Abgesandten. Das was Christus in der Welt war, das sind jetzt wir als Gemeinschaft seiner Kirche. In ihr sollen wir Einheit und Frieden finden. Der christliche Glaube erwächst nicht aus irgendwelchen Sätzen, die man sich einprägt, sondern aus der Beziehung zu ihm, die jedes Wort, das er uns hinterlassen hat wichtig macht. Aus seinem Wort wächst unser Mut zur Wahrheit, mit dem wir dem modernen Pluralismus widersprechen, der die Gültigkeit von Dingen mehr und mehr von Gewohnheiten, Stimmungen, Mehrheiten und Moden abhängig machen möchte und abhängig macht. In rasantem Tempo verfallen Vorstellungen, Werte und Ordnungen, weil sie keinen Fixpunkt mehr haben, ohne Orientierung sind.

Dagegen sagen wir nüchtern aber unerbittlich: Die Wahrheitsfrage ist entschieden in Christus; der selbst die Wahrheit ist. Nur in seinem Antlitz erblicken wir das Gesicht des Menschen, den Gott zu seinem Bilde geschaffen hat. Wir finden Einheit nur darin, dass Christus zu uns kommt.

Hier unterscheidet sich das Christentum übrigens radikal von der Fortschrittsgläubigkeit der modernen Welt, die sich in marxistischen, liberalistischen und sozialistischen Varianten ausgeprägt hat und immer gern das Christentum für sich einnehmen wollte. Wir müssen aber erkennen, dass auf diesem Wege ein sehr gefährlicher Irrtum auch in unser Denken einzusickern bemüht ist. Jeder Form von Fortschrittsglaube unterstellt, dass das ganz große Glück und das eigentliche Leben des Menschen erst beginnen kann, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind, wenn für Gerechtigkeit gesorgt ist, Unterschiede beseitigt, Strukturen zerstört und die neue moderne Gesellschaft errichtet wurde, kurz, wenn der Mensch, die ganze Gesellschaft sich irgendwohin entwickelt haben. Christen haben sich dafür oft einnehmen lassen, weil sie nicht weniger als andere geplagt werden durch Unrecht und Gewalt. Dennoch muss man entschieden darauf aufmerksam machen, dass sich das Leben des Menschen jetzt verwirklichen muss. Lasst Euch nicht verjagen in die Zukunft!

Bernhard von Clairvaux hat bereits im 12. Jahrhundert hierzu eine Antwort gegeben. Die neutestamentliche Lehre von den zwei Ankünften Christi – der ersten in Niedrigkeit mit seiner Geburt, der zweiten in Herrlichkeit zum jüngsten Gericht – hat er ergänzt um die Lehre von einer mittleren Ankunft im Inneren der Zeit der Kirche. Christus wird immer neu in den Seelen geboren; es gibt eine fortwährende spirituelle Ankunft Christi. Es gibt nichts, was nicht in diesem Augenblick geschehen kann. Darin gründet übrigens der tiefe und nicht zu zerstörende Glaube des Christen an Wunder.

Das Leben spielt nicht im Irgendwann, in dem Utopien aus menschlicher Macht Wirklichkeit geworden sind, sondern im Jetzt Gottes. Ist es nicht eigentümlich, dass alle Utopien zerplatzt sind, noch lange bevor an ihre Verwirklichung auch nur zu denken war, und dass sich die Menschen, scheinbar mit immer verbissenerer Hingabe, einfach neuen Utopien zugewandt haben, als wollten sie einfach nur dem Glauben an Christus um jeden Preis ausweichen? Diese Utopien haben alle eines gemeinsam, sie säen Streit und Hass unter die Menschen, und lassen sie wütend gegeneinander kämpfen. Christus aber will, dass wir im Glauben an ihn alle eins seien und Frieden haben.

Er schenkt uns im hohepriesterlichen Gebet ein eindrucksvolles Bild für das, was hier gemeint ist: „Ich bitte aber nicht allein für sie, sondern auch für die, die durch ihr Wort an mich glauben werden, auf dass sie alle eins seien, gleichwie du, Vater, in mir und ich in dir; dass auch sie in uns seien, damit die Welt glaube, du habest mich gesandt.“

Hier wird eine Ahnung von dem geschenkt, wie das innerste Wesen Gottes und damit auch, wie das innerste Wesen der Welt beschaffen ist. Wir können uns dem nähern, wenn wir einen südamerikanischen Denker des vergangenen Jahrhunderts zu Hilfe nehmen, der gesagt hat:

• „Die Seele ist nicht im Körper, sondern der Körper ist in ihr. Aber wir ertasten sie im Körper.
• Das Absolute ist nicht in der Geschichte, sondern die Geschichte in ihm. Aber wir entdecken es in der Geschichte.“

Wenn das stimmt, was auch erklären könnte, warum wir an der Seele so viel leichter zu verletzen sind als am Körper, dann könnte man auch sagen: Gott ist nicht in der Welt, sondern die Welt ist in Gott. Die ganze Welt wäre dann vorzustellen wie ein ungeborenes Kind, dem bereits alle Vernunft gegeben ist, und das sich, dem Wesen des Menschen gemäß, fragt, wo es ist und wie beschaffen die Welt um es her sei. Weil das Leben mit dem Blut der Mutter in seinen Adern strömt, bekäme das Kind vielleicht eine Ahnung davon, dass es ganz von einem liebenden Wesen umschlossen ist und nur dadurch lebt, und es würde jedes Lächeln der Mutter spüren.

Ich persönlich habe jedenfalls immer ohne jeden Zweifel fest daran geglaubt, dass meine Kinder gespürt haben, wie glücklich wir auf sie warteten, und den meisten Eltern geht es wohl nicht anders. Was aber würde nun passieren mit einem solchen ungeborenen Kinde, das alles was es umgibt für tot hält, damit nicht mehr in der Wahrheit wäre, und auch dementsprechend damit umginge? Wir ahnen hier die todbringende Macht des Irrtums. Ist nicht aber genau das der tiefe Kern dessen, was im vergangenen Jahrhundert der Selbstzerstörung der Zivilisationen, wie ich es nennen will, geschehen ist?

Wir merken, dass unser Bild hier an seine Grenzen stößt, glauben und bekennen aber, dass, gleichwie der Vater im Sohn und der Sohn im Vater ist, wir in ihnen sind und darin Einheit und Frieden finden.

Amen

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Amen
Thomas Roloff

1 Kommentar:

MartininBroda hat gesagt…

Nun gut, ich bin sehr versucht, darauf mit einem unechten Voltaire-Zitat zu antworten, aber da es ein Beitrag des Herrn Roloff ist, überlasse ich wohl besser ihm die Gelegenheit für Derartiges. Vielen Dank für den Kommentar jedenfalls.