Sonntag, 4. September 2011

Jerichow


In manchen Räumen überfällt einen das Gefühl, sie würden es immer noch sehr übel nehmen, keine Klosterkirche mehr zu sein. Bei der ehemaligen Stiftskirche der Prämonstratenser-Chorherren in Jerichow ist es so. Aber dennoch, die Steine erinnern an den schönen Geruch des Heiligen. Herr Roloff wird in wenigen Minuten an diesem Ort die nachfolgende Predigt (am 11. Sonntag nach Trinitatis) halten:


2 Sam 12, 1-10.13-15a

Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen

Liebe Gemeinde,

darin erweist sich der wahre Prophet, dass er mutig, unbeirrt und ohne die Folgen für sich selbst nur zu bedenken auch vor den Mächtigsten hintritt und die Wahrheit spricht - gerade, deutlich, klar.

Er tut das nämlich nicht für sich, sondern ein Prophet ist ein Gesandter Gottes. Der Herr sandte Nathan zu David.

Aber Nathan ist auch kein bloßer Krawallprophet, dem es nur darauf ankäme schlimmste Sünden aufzudecken und anzuprangern und den Sünder erbarmungslos bloßzustellen. Bloßstellung gebiert nämlich beim Bloßgestellten meistens keine Einsicht, sondern nur Hass.

Nathan will aber, und auch darin tut er den Willen seines Herrn, Einsicht erreichen. Darum prangert er nicht an, sondern er erzählt eine Geschichte, die im Gewande einer Denunziation daher kommt. Ein Armer mit seinem einzigen Schäflein wird von einem Reichen beraubt, der es nicht übers Herz bringt, vom eigenen zu nehmen, als ihn ein hoher Gast besucht.

David gerät in unbeherrschten Zorn und spricht das Urteil über den denunzierten Verbrecher in Form eines Eides! „So wahr der Herr lebt: der Mann ist ein Kind des Todes, der das getan hat!“ David ist ein kluger Mann, der das Gesetz kennt. Er ist im Begriff ein großes Reich zu errichten. Unter seiner Herrschaft wird Israel seine weiteste Ausdehnung erreichen, und Jerusalem steigt auf zu einer bewunderten Metropole im Vorderen Orient. Damals wie heute konnte Macht nur dann ein Minimum an Dauer erreichen, wenn es verlässliche Ordnungen gab, und die Menschen wussten, woran sie sich zu halten haben. Ganz erstaunlich ist es nun vor allem auch, dass es offenkundig Rechtsgrundsätze gab, die ganz ohne Ansehen der Person ausgeübt wurden. David fragt nicht zunächst danach: Wer etwas getan hat, sondern er verurteilt nur was getan wurde, und er verurteilt es in aller Strenge.

„Der Mann, der das getan hat, ist ein Kind des Todes!“ Keinen Augenblick ahnt der König, wen er da gerade eidlich verflucht.

Das sagt ihm nun Nathan: „Du bist der Mann!!!“


So spricht der Herr: Warum hast du mein Wort verachtet? Durch den Propheten hält Gott David alles vor, was er an ihm getan hat, zählt alles auf, was er ihm gegeben hat. Und dann hält er dagegen, wie David es ihm gedankt hat. Obgleich er dies alles hatte und noch mehr hätte haben können, musste er sich an etwas vergehen, was er nicht haben durfte.

Ja es ist richtig, Gott ist allmächtig und ewig und groß, und oft verstehen wir ihn nicht. Aber manchmal habe ich den Eindruck, das es Gott mit uns Menschen, was das nicht verstehen angeht, ähnlich ergeht. Gott versteht David nicht, und er sucht eine Erklärung, eine Antwort auf das bohrende Warum, und es ist fast rührend zu hören, wie er überlegt, was er noch hätte tun können. Gott ist hier der ganz typische Vater. Eltern fragen sich doch auch meist zu allererst: Was habe ich verkehrt gemacht, wo habe ich zu wenig gegeben, zu wenig geliebt, so dass mein Kind auf diese Abwege geraten konnte?

Gott versteht den Menschen nicht, und zusätzlich sieht er durch seine Allwissenheit sämtliche Folgen dieser Tat. Gott droht nicht, sondern weist nur jetzt bereits hin auf das, was geschehen wird: „Nun, so soll von deinem Hause das Schwert nimmermehr lassen, weil du mich verachtet hast.“

Nicht Gott straft, sondern hier kommt die Überzeugung zum Ausdruck, dass die böse Tat sich selbst straft, so wie David sich ja zuvor auch selbst verflucht hat, ohne es zu merken. Das ist die Botschaft dieser tragischen Geschichte: Wer Böses tut, der legt sich selbst Dinge auf, die ihn an der Verwirklichung seines Lebens hindern, der lässt an sich selbst Dinge zu, die ihn auf Dauer zerstören, der veruntreut, was Gott ihm anvertraut hat.
Keine Tat bleibt wirklich folgenlos.

So wie in der Geschichte, die Nathan erzählt hat, kann man es an Menschen vor allem auch an sich selbst beobachten. Ja, Gier schafft es zuweilen Dinge zusammenzuraffen, und Geiz vermag sie beieinander zu halten. Aber der Geiz und die Gier zerstören auch den Menschen, der sich von ihnen beherrschen lässt. Das wird sehr schön in der Konsequenz der Geschichte deutlich, nämlich als der Besuch kommt.

Der Begriff „Besuch bekommen“ klingt für uns zunächst ein wenig banal. Wir besuchen uns selbstverständlich und hoffentlich auch oft.

Zur Zeit Davids und vor allem im Vorderen Orient ist Besuch zu bekommen etwas ganz wichtiges, und Gastfreundschaft zu üben ist eine geradezu heilige Pflicht. Besuch zu bekommen war jedes Mal ein Fest, und Feste feiert man, um Freude zu schenken. Aber nicht nur der Besucher soll sich überschwänglich freuen, sondern auch der Besuchte. Wie aber kann der sich wahrhaft freuen, wenn er das Seine nicht hergeben will und lieber einen anderen bestiehlt, um ein Essen zu bereiten. Im wahrsten Sinne des Wortes wird hier alles vergiftet, die Gastfreundschaft, die Freude, das Essen.

Ist es eine Überraschung, dass der Ehebruch, den David begangen hatte, auch alles vergiftet? David hatte sich vielleicht eingeredet, es wäre Liebe, was ihn treibt, dabei waren es nur Gier und Undank. Als er dann noch das Hindernis seiner Gier, nämlich Uria, kalt beseitigen lässt, ist das Verhängnis nicht mehr aufzuhalten. Das Böse hat Gewalt gewonnen über die handelnden Menschen und beginnt, sie zu zerstören.

Als David all das zu begreifen beginnt, als er die Lawine des Verhängnisses auf sich zurasen sieht, da wendet er sich um und spricht einen ganz einfachen Satz: „Ich habe gesündigt gegen den Herrn.“

War der Satz Nathans: „Du bist der Mann“ der eine Wendepunkt unserer Geschichte, so ist das Bekenntnis Davids: „Ich habe gesündigt“ der andere.

Staunend kann man da nur immer wieder fragen: Das soll wirklich alles sein, so ein schlichter Satz, so ein einfaches Bekenntnis?

Ja, es ist alles. Jede Hinwendung zu Gott heilt und bringt das Leben wieder zurecht. Demut heilt und Hochmut führt ins Verderben.

Aber warum dann dennoch dieses grausame, für jeden Menschen unerträgliche Ende: „Der Sohn, der dir geboren ist, wird des Todes sterben!“

Man möchte protestieren und fragt sich bestürzt: Warum trifft es am Ende das Schwächste, das gerade geborene Kind?

Man möchte Gott Vorwürfe machen und will ihn für grausam halten und fragen, warum lässt er das zu?

So berechtigt die Fragen scheinen, in ihnen erhebt sich nichts als Hochmut, getarnt im menschlichen Mitgefühl.

Wir können nicht wissen, warum das Kind stirbt, aber wir wissen, dass nur ein einziger in dieser Geschichte wirklich und eidlich ein Todesurteil verhängt hat, und das war David. Er ist der Mann, er hat das Verhängnis ausgelöst, er hat gesündigt und gemordet.

Wir mögen uns auflehnen gegen den Tod des Kindes, David tat das auch. In der Zeit der Krankheit des Kindes fastet und fleht und betet er. Als das Kind aber tot ist, da kommt kein Zorn mehr in ihm auf, denn er weiß viel zu gut, dass er und nur er der Ausgangspunkt des Verhängnisses ist, und dass er an seinem Bekenntnis und an der Hinwendung zu Gott festhalten will.

Ich habe gesündigt gegen den Herrn.

Wer selbst im tiefsten Verhängnis an dieser Hinwendung zu Gott festhält, der findet auch einen Ausweg, der findet auch einen neuen Anfang.

Wir können nicht wissen, was aus dem gestorbenen Kind geworden ist, oder warum es sterben musste, aber wir wissen, was aus der Beziehung zwischen David und Bathseba wurde. Sie wurde die Mutter des künftigen Königs Salomo, des Frieden stiftenden. Aus dieser Verbindung ging die Fortsetzung der Dynastie hervor. Bathseba wurde so auch zur Ahnfrau des Erlösers Jesus Christus.

Das alles legitimiert nun aber nicht das Tun des Königs, sondern verdeutlicht nur die Größe des Erbarmens unseres Gottes. Niemals kann David sagen, gut, dass ich so oder so gehandelt habe, denn sonst wäre ja das oder jenes nicht eingetreten. Der Mensch kann immer nur sagen: Herr ich habe gesündigt und kehre nun zu dir zurück.


So sehr erbarmt sich Gott, dass er sogar das tiefste Verhängnis zu wenden vermag, so sehr, dass er alles zum Guten führt. So unbändig, so unwandelbar ist sein Wille zum Heil. Wendet euch ihm zu, er wird auch uns erlösen.

Amen

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen

Thomas Roloff

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4 Kommentare:

Morgenländer hat gesagt…

"In manchen Räumen überfällt einen das Gefühl, sie würden es immer noch sehr übel nehmen, keine Klosterkirche mehr zu sein. Bei der ehemaligen Stiftskirche der Prämonstratenser-Chorherren in Jerichow ist es so."

Ja, ein ähnlicher Gedanke überfällt mich auch oft, wenn ich in meiner alten Heimat Angeln bin, in der sich so viele steinerne Zeugen der 'old time religion' gibt.

Und wieder eine sehr schöne, gedankenreiche und bedenkenswerte Predigt.

Vielen Dank dafür!

Walter A. Aue hat gesagt…

"... Gott versteht David nicht, und er sucht eine Erklärung, eine Antwort auf das bohrende Warum, und es ist fast rührend zu hören, wie er überlegt, was er noch hätte tun können..."
Wie waere es gewesen, wenn Gott sich nicht auf Menschen verlassen haette, die richtig oder falsch oder zweideutig reden koennen, sondern es dem (oder den) Menschen eindeutig zu sagen? An die Wand (oder ins Gewissen) geschrieben, im Donner gesprochen, wie immer auch. Nur dann haette Er ein "Recht", Gehorsam zu verlangen und KLAR verbotenes Tun zu bestrafen. (Und selbst dann koennte man noch ueber das "Recht" streiten, ausser wenn Macht Recht macht.)

MartininBroda hat gesagt…

@Morgenländer Habe ich dem Herrn Roloff gerade so vorgelesen, scheint ihn gefreut zu haben, ich denke mal, er konnte trotz des lebhaften Kinderlärms folgen.

MartininBroda hat gesagt…

@Prof. Aue Nun ja, dieser Ort ist leider verflacht, fürchte ich, beispielsweise wollte ich längst einmal etwas über Jungs "Antwort auf Hiob" schreiben, da geht es genau darum, denke ich.

Ich bin auch darüber gestolpert, und Herr Roloff meinte, deshalb hätte er betont, wir würden die Gründe eben nicht kennen. Vielleicht schreibe ich diesen Hiob-Text doch noch fertig, aber sicher nicht heute, es ist ein unangenehm schwüler Tag. Immerhin muß ich Herrn Roloff dankbar sein, daß er sie zu einem Kommentar provozieren konnte. Ich danke und freue mich darüber.