Samstag, 24. Dezember 2011

Heilig Abend I


Herr Roloff hat am heutigen Heiligen Abend diese Predigt gehalten, die ich nicht vorenthalten will. Ich selbst habe auf Wunsch meiner Frau Mutter mit ihr eine „Ökumenische Christvesper“ besucht, die in der ehemaligen St. Marienkirche, der jetzigen „Konzertkirche“ stattfand. Wir waren uns ausnahmsweise einmal einig, nämlich darin, daß dies ein singuläres Ereignis bleiben dürfte. Immerhin hat mich das „Programmheft“ an die wunderbaren Mosaiken gemahnt, die in der Hagia Sophia zu finden sind.


Predigt zum Hl. Abend 2011


Jes 9, 1-11


Die Gnade und der Frieden des Kindes in der Krippe seien mit Euch allen!

Liebe Gemeinde,

eine der messianischen Weissagungen, die wir vorhin gehört haben, soll im Zentrum dieser Predigt stehen. Jesaja hat uns das Wort überliefert, und seit der Geburt Christi wissen wir, dass sich in ihm eine Ahnung auf den Erlöser der Welt ausgesprochen hat: „Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht, und über denen die da wohnen im finstern Lande, scheint es hell.“

1. Drei mögliche Deutungen treten hier bereits zueinander und lassen uns die Größe der Verheißung erahnen. Es wird das Volk, und mit ihm auch wir, als verirrte Gemeinschaft begriffen, die vom Untergang bedroht ist und keinen Ausweg mehr findet. Das aufgegangene Licht weist ihm aber nun einen neuen Weg. Es lässt wieder Hoffnung werden, wenn man dem Licht jetzt nur treu folgt. Wem fielen in diesem Zusammenhang nicht die Geschichten vom durch die Wüsten des Sinai irrenden Israel ein, und wem käme nicht der Stern von Bethlehem in den Sinn?

2. Noch dramatischer wird die Verheißung in ihrem zweiten Teil: „Über denen, die da wohnen im finstern Lande, scheint es hell.“ Das finstere Land, das Schattenland bezeichnet nichts anderes als das tiefe Tal des Todes. Hier bei Jesaja keimt im Glauben erstmals eine Hoffnung darauf auf, dass unser Leben mit dem Tod nicht besiegt ist. Dem Tode wird seine Endgültigkeit abgesprochen, und er wird zu einem Warten auf das neue Licht, das die Kraft hat, sogar in das Totenreich zu scheinen. Darum ruft die Kirche ihren Toten nach: Herr, lasse sie ruhen im Frieden, und das ewige Licht leuchte ihnen.

3. Die dritte Deutung hängt allein an dem Worte „groß“. Es ist nicht irgendein Licht, es ist das große Licht, das da aufgeht über unserer Welt, und uns wird die Gnade zuteil, es zu sehen. Das Volk, das dem Tode verfallen ist, das doch nichts als den Tod zu erwarten hätte, dieses Volk sieht nun ein großes Licht. Das Volk sieht das aufgegangene Licht, es ist nicht selbst das Licht. Das Volk erhofft und erwartet die Erlösung, es vollbringt sie aber nicht aus eigener Kraft. Das Volk schaut und empfängt, ganz ohne selbst etwas geben zu können.


Liebe Gemeinde,
es gehört zum zauberhaften Charakter dieses Festes, dass es uns zu Beschenkten macht. Die Redner auf den Kanzeln haben es sich vielerorts zur Gewohnheit werden lassen, den Konsumrausch dieser Tage zu geißeln. In der Tat liegt eine Gefahr darin, sich selbst zu sehr in der Rolle des Schenkenden zu gefallen. Dort aber, wo Ihr alle in dieser Nacht zu Beschenkten werdet und Euch daran erinnern lasst, dass alles, was wir uns geben können ein Abglanz dessen ist, was uns als Menschen an diesem Heiligen Abend geworden ist, da ergeht Euch ruhig in grenzenloser Freude. „Du weckst lauten Jubel, du machst groß die Freude.“ Es soll überschwänglich zugehen, als würde man Beute austeilen, denn so beschreibt es auch Jesaja.

Wir sind Wesen, die in dieser Nacht alles empfangen, was uns wirklich notwendig ist. Wir empfangen, was die Not abwendet. Aber wir wenden sie nicht selbst ab. Wir werden erlöst, aber wir erlösen uns nicht selbst. Wir werden gerettet, aber wir retten uns nicht selbst.

Das ist die Auseinandersetzung, die von Weihnachten, vom Geburtsfest Jesu, her zu allen Zeiten geführt wurde. Glaubt nicht den Vielen, die in allen Zeiten behauptet haben, nur sie könnten die Welt, und die Menschheit retten. In irgendeiner Form sind sie am Ende alle gescheitert, nachdem sie eine kleine Zeit ihre im Rückblick immer eher peinlichen ideologischen Diktaturen aufrecht erhalten konnten. Ist Ihnen einmal aufgefallen, wie grotesk und geradezu lächerlich die Herrschaft der Weltenretter nach wenigen Jahren meistens gewirkt hat? Oft gilt das, beklemmender Weise, sogar dann, wenn sie durch unvorstellbare Schrecken überschattet ist.

Wie wird man aber in dieser Hinsicht auf unsere Zeit blicken?

„Ich bin davon überzeugt, dass das Wohlergehen der Menschheit heutzutage nicht vom Staat und der Welt der Politik abhängt; der wirkliche Kampf wird in der Welt des Denkens ausgefochten, wo mit großer Zähigkeit eine todbringende Attacke gegen den größten Schatz der Menschheit geführt wird, den Glauben an Gott und das Evangelium Christi.“

Diese Sätze eines der bedeutendsten englischen Staatsmänner des 19. Jahrhundert gelten ganz offensichtlich unvermindert fort.

Warum ist es so entscheidend für den Menschen, dass er an Gott glaubt?

Es ist darum so entscheidend, weil nur dieser Glaube dem Menschen sein Menschsein bewahrt. Gibt der Mensch den Glauben auf, dann muss er sich notwendiger Weise selbst zum Gott machen, um in der Welt bestehen zu können. Er bleibt dann nicht mehr ein Teil von Gottes guter Schöpfung, sondern stellt sich ihr selbstmächtig gegenüber und behauptet von seinem Handeln im Guten wie im Bösen hinge nun alles ab. Zunächst will er dann natürlich immer ausschließlich das reine Gute. Dieser Mensch muss an den Fortschritt glauben, um den Menschen zu versichern, dass sie das Universum verändern können und es schaffen werden, es nach Maßgabe ihrer Vorstellungen zu gestalten. Dieses wird ihm dann aber immer schnell, weil es nur noch seinen eigenen Maßstäben unterworfen ist, zum Grauen.

Wir haben es doch alle im eigenen Leben erfahren, es mit eigenen Augen gesehen. Menschen wollten selbst das Paradies aufrichten und bereiteten einander die Hölle, aus der sie sich dann wiederum selbst zu befreien suchen. Eine Vorstellung von der Selbsterlösung wird in immer rascherer Folge von der nur noch leicht variierten nächsten abgelöst. Das Ende ist immer Zerstörung.

Der ernste Glaube an Gott kann vor diesem Wahn bewahren. Der glaubende Mensch ist immer daran gehindert, in sich selbst die letzte Instanz und das verbindliche Maß zu sehen. Der glaubende Mensch weiß sich immer als ein Gebundener, der gerade darin vor Gott Freiheit findet.

Und warum glauben wir als Christen nun an den Mensch gewordenen Gott?


Diese Frage zielt auf das eigentliche und tiefste Geheimnis der Weihnacht. Es offenbart sich in diesem Geschehen ein Gott, dessen Name schon in frühester Zeit etwas angedeutet hat von seinem Wesen: „Ich bin, der ich sein werde“. So sprach Gott am Dornbusch schon zu Moses, dem großen Glaubenszeugen. Hier wird etwas von dem enthüllt, was das Sein selbst ausmacht. Das Sein ist nicht ein abgeschlossenes oder gar verschlossenes Faktum, sondern es ist ein suchendes Sein, das auch im „noch nicht sein“ besteht. Vielleicht ist hier aber auch bereits die unvorstellbare Tatsache angedeutet, dass Gott vor aller Zeit beschlossen hatte, dem Menschen, seinem Geschöpf, in der Weise zu begegnen, dass er selbst in seinem Sohn Mensch würde. Er schenkt sich als Mensch dem Menschen. Wir dürfen ihm begegnen, und gerade darin wird uns die Rettung zuteil, die wir selbst eben nicht vollbringen können.

Das alles dürfen wir glauben, weil es den Vätern offenbart wurde und von der Kirche bewahrt worden ist. Dieser Glaube an den Mensch gewordenen Gott kann den glaubenden Menschen vom Grunde her verwandeln. Er ist nicht mehr darauf angewiesen atemlos einen scheinbaren Fortschritt herbeizuführen und zu propagieren, sondern er sichert sich den Fortbestand seiner Gemeinschaft mit Gott. Das Verhalten so verschiedener Menschen lässt sich nun vergleichen dem einen, der ein Guthaben hemmungslos ausbeutet, nur um sich selbst täglich neu zu beweisen, dass er lebt, und dem anderen, der eine Kostbarkeit wie ein Heiligtum bewahrt und sie weitergibt an die Generationen, die noch kommen werden. Die Gemeinschaft mit Gott ist der große Schatz, aus dem heraus wir leben.

So lasst euch den verkünden: „Uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben, und die Herrschaft ruht auf seiner Schulter; und er heißt Wunderbar-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst; auf dass seine Herrschaft groß werde und des Friedens kein Ende auf dem Thron Davids und in seinem Königreich, dass er´s stärke und schütze durch Recht und Gerechtigkeit von nun an bis in Ewigkeit. Solches wird tun der Eifer des Herrn Zebaoth.“

Nehmt das Kind in Euer Leben auf, denn dazu ist es in dieser Nacht zur Welt geboren.

Amen

Der Friede dieses Kindes komme über Euch und bleibe bei Euch in dieser Nacht und alle Zeit.

Amen
Thomas Roloff

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