Sonntag, 26. Februar 2012

Invocavit

Mechthild von Magdeburg
Photo: Andreas Praefcke, hier gefunden

Soweit in der evangelischen Kirche der Heiligen überhaupt gedacht wird, heute wäre nach evangelischem Verständnis der Gedenktag der Hl. Mechthild von Magdeburg, eine große Mystikerin. Herr Roloff erwähnt sie in seiner Predigt, die im Anschluß folgt und die ich wieder einmal sehr bemerkenswert finde.

Predigt zum Sonntag Invocavit 2012

2Kor 6, 1-10

Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserem Vater und unserm Herren Jesus Christus. Amen.

Liebe Gemeinde,

es beginnt immer mit einer Versuchung, und dieser Text des Paulus ist gleichsam das Ergebnis dieses inneren Zusammenhangs der beiden Lesungen, die wir zuvor gehört haben, und die das Thema des 1. Sonntags der Passionszeit markieren. Dieses Thema ist die Versuchung. Wir haben aus dem 1. Buche Moses davon gehört, wie Eva und Adam dieser Versuchung erlegen sind und das Paradies verloren. Von Matthäus wiederum hörten wir, dass auch Christus von der Versuchung nicht verschont wurde. Er aber hat ihr widerstanden und als neuer Adam sich für uns zum Heilsbringer gemacht. Jesus beginnt seinen Weg ans Kreuz mit einer Versuchung.

Was aber ist eigentlich eine Versuchung? Die Werbung hat es erreicht, dass einem zuerst die zarteste Versuchung einfällt, seit es Schokolade gibt. Auch insgesamt ist der Begriff der Versuchung eher zu einer Verheißung geworden, dass einem etwas ganz und gar wunderbares begegnet. Auch das ist nicht ganz neu. Giovanni Guareschi hat in seinem Don Camillo und Peppone so schön gesagt: „Manch einer, der vor der Versuchung flieht, hofft doch heimlich, dass sie ihn einholt.“ Oder von Mark Twain stammt der ebenfalls schöne Satz: „Es gibt mancherlei geeigneten Schutz gegen die Versuchung, aber der sicherste ist die Feigheit.“ Am originellsten finde ich noch immer den Sinnspruch von Oscar Wilde: „Ich kann allem widerstehen, außer der Versuchung.“

Solange der Mensch zu unterscheiden weiß, was jeweils wo gemeint ist, bleibt dagegen nicht einmal etwas einzuwenden. Ich aber habe manchmal den Eindruck, dass der Verlust an Klarheit der Begriffe auch damit zu tun hat, dass der Diabolos stets und ständig sein Werk tut. Diabolos ist ein griechischer Begriff für den Teufel. Er bedeutet wörtlich nichts anderes als „der Durcheinanderwerfer“ oder auch „der, der die Dinge verkehrt“.

Darum gibt es eben das ehrliche und ernsthafte Suchen nach dem eigenen Weg durch das Leben, und es gibt das Versuchen, durch das man irregeleitet werden soll. Die Versuchung ist es, wodurch wir verleitet werden sollen, unser Leben ganz auf das Falsche hin auszurichten. Das setzt natürlich voraus, dass es richtig und falsch auch tatsächlich gibt. Auch da will man uns mehr und mehr einreden, es gäbe gar kein richtig und falsch, sondern immer nur ein anders.

Ich jedenfalls frage mich an dieser Stelle aber: Was ist das nur für ein verkehrter Unsinn, der da von der Welt und den Menschen Besitz ergreift?

Wenn man seine Brötchen im Bäckerladen kauft, bezahlt und sie dann mit nach Hause nimmt, dann tut man das Richtige. Bezahlt man nicht und nimmt sie trotzdem mit, dann kauft man nicht anders, sondern man stiehlt, und davon heißt es: Du sollst nicht stehlen!

Und wenn man mit einem Menschen verheiratet ist, dann ist das nichts anderes als das öffentliche Versprechen, mit ihm zusammenleben zu wollen. Nun wissen wir natürlich, dass Ehen scheitern können. Aber wenn die Ehe gescheitert ist, wie kann ich dann das öffentliche Versprechen aufrecht erhalten und dennoch mit einem anderen Menschen zusammenleben? Das ist dann einfach falsch und ein öffentliches Bekunden davon, dass einen die Gebote nicht interessieren.

Es ist eine gewaltige Versuchung, sich selbst dann noch für integer und aufrichtig zu halten, und es ist eine Versuchung für andere, so etwas für Integrität auszugeben.

Liebe Gemeinde,

das Wesen des Umgangs mit der Versuchung ist es nun nicht, ihr auszuweichen oder gar vor ihr zu fliehen, sondern das Wesen unseres Umgangs mit der Versuchung ist es, in ihr zu bestehen. Das ist doch das entscheidende Beispiel, das Christus uns gegeben hat.

Wie aber kann das gelingen? Hier gelangen wir zu unserem Paulus-Text.

Paulus spricht uns alle als seine Mithelfer an und mahnt uns, die Gnade Gottes nicht vergeblich zu empfangen. Er erinnert uns an ein Prophetenwort des Jesaja: „Ich habe dir am Tage des Heils geholfen.“ Paulus macht dann klar, dass der Tag des Heiles da ist. „Siehe, jetzt ist der Tag des Heils!“

Das Heil ist keine Hypothese. Es ist nichts, was irgendwann geschaffen wird oder sich in irgendeinem Jenseits abspielt. Es ist nicht dieses Eiapopeia vom Himmel, über das sich schon Heinrich Heine lustig macht. Das Jetzt des Heils gründet in der Begegnung mit Christus, mit dem, der der Herr des Himmels und der Erde ist. Wer aber seinen Herrn gefunden hat, so wie die Jünger ihn am See fanden und Paulus vor Damaskus und die Hl. Mechthild, deren Gedenktag wir heute feiern, in den Tiefen der Mystik und auch wir alle irgendwann in unserem Leben, dessen Sein verwandelt sich in diesem Augenblick zu dem eines Dieners. Wer seinen Herren gefunden hat, der wird zum Diener dieses Herrn. Der vermeintlich freie Diener ist immer nur Diener seiner eigenen Gier und Eitelkeit.

An jenes Dienersein also erinnert uns Paulus und gibt uns damit einen untrüglichen Kompass. Nun können wir uns als Diener erweisen in Geduld, in Trübsalen, in Nöten und Ängsten, in Schlägen und Gefängnissen, in Aufruhren und Mühen, in Wachen, in Fasten, in Keuschheit, in Erkenntnis, in Langmut, in Freundlichkeit, in dem heiligen Geist, in ungefärbter Liebe, in dem Wort der Wahrheit, in der Kraft Gottes, durch Waffen der Gerechtigkeit, durch Ehre und Schande, durch böse Gerüchte und gute Gerüchte, als Unbekannte und doch bekannt; als Sterbende und siehe, wir leben; als die Gezüchtigten, und doch nicht ertötet; als die Traurigen, aber allezeit fröhlich; als die Armen, aber die doch viele reich machen; als die die nichts haben und doch alles haben.

Liebe Gemeinde,

was hier wie ein ziemlich buntes Durcheinander daherkommt ist vermutlich beides, einerseits Einblick in das Leben des Paulus und in seine Seele und andererseits eine exemplarische Sammlung von dem, was auch uns im Leben begegnen kann.

Es ist schlicht Aberglaube, dass Religion so etwas ist, was das Böse, manchmal auch Furchtbare und Leidvolle von uns fern hält. Das Leben eines Christen ist das Leben in einer Beziehung. Es wird niemals gelingen, die schweren Seiten der Existenz ständig zu vermeiden, sondern es kommt darauf an, in ihr zu bestehen! So kann jedes von den Dingen, die Paulus genannt hat, für sich zur Versuchung werden. Trübsale, Nöte und Ängste, Schläge und Mühen verleiten schnell zur Klage: Warum muss mir dass alles passieren? Wie kann Gott das zulassen? Der Fragende macht sich hier schnell zum Richter über Gott. Langmut, Freundlichkeit und ungefärbte Liebe wiederum verführen den Menschen oft dazu, sich selbst für unwiderstehlich zu halten, sich selbst zum Herren zu machen, auch zum Herren über Gott, als wäre der nur noch dazu da, den glücklichen Zustand zu erhalten und eigene Wünsche zu erfüllen. Gott aber erfüllt nicht unsere Wünsche, sondern seine Verheißungen.

Ein eindrucksvolles Beispiel dafür gibt uns Maria. Sie empfängt die Verheißung, Mutter des Erlösers zu werden und damit geht sicherlich alles andere in Erfüllung als die Wünsche einer jungen verlobten Frau. Maria erschrickt darum auch vor dem, was der Engel ihr verkündet. Dann aber tut sie demütig das Notwendige. Soll der Erlöser der Welt geboren werden, dann braucht es eben nicht nur die Verheißung, sondern es braucht die Antwort des Menschen. Wort und Antwort erschaffen die Beziehung zwischen Gott und seiner Schöpfung neu. Maria erklärt sich zur Magd, zur Dienerin am Wort Gottes und spricht dasjenige Wort, das wir auch als das erste Wort Gottes kennen: Fiat! Es geschehe, es werde. Erst im Moment der Antwort kann das Erlösungswerk beginnen und ohne diese Antwort wäre es nicht begonnen.

Auch darum hält Paulus uns an, Gott in allen Dingen zu suchen und sein Diener zu sein. Im Leid, wie im Glück die Gemeinschaft mit ihm zu suchen. Gebt keiner Versuchung nach, euch von ihm zu trennen. Wie viel Leid hat auch Maria getragen?

So sind wir Unbekannte und doch bekannt; als Sterbende und siehe, wir leben; als die Gezüchtigten, und doch nicht ertötet; als die Traurigen, aber allezeit fröhlich; als die Armen, aber die doch viele reich machen; als die die nichts haben und doch alles haben.

In dieser Gewissheit gehen wir wieder mit unserem Herren an sein Kreuz, an dem er uns Heil und Leben erworben hat.
Amen

Der Friede Gottes, welcher höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Amen
Thomas Roloff

1 Kommentar:

Morgenländer hat gesagt…

"Wenn man mit einem Menschen verheiratet ist, dann ist das nichts anderes als das öffentliche Versprechen, mit ihm zusammenleben zu wollen. Nun wissen wir natürlich, dass Ehen scheitern können. Aber wenn die Ehe gescheitert ist, wie kann ich dann das öffentliche Versprechen aufrecht erhalten und dennoch mit einem anderen Menschen zusammenleben? Das ist dann einfach falsch und ein öffentliches Bekunden davon, dass einen die Gebote nicht interessieren.

Es ist eine gewaltige Versuchung, sich selbst dann noch für integer und aufrichtig zu halten, und es ist eine Versuchung für andere, so etwas für Integrität auszugeben."

Gut gesagt, und mehr noch: sehr richtig.