Freitag, 17. Februar 2012

Zeitungslektüre


Eben fiel mir wieder ein Artikel aus dem Tagesspiegel vom 17.02.2012 in die Hände mit der niedlichen Überschrift „Rechte Einfalt“, von einer Adelheid Müller-Lissner verfaßt. Eine sogenannte „Studie“ britischer Psychologen habe herausgefunden, dümmere Menschen seien eher konservativ und würden alles Andersartige herzlich hassen, also Schwarze, Homosexuelle etc., die üblichen Verdächtigen also.

Ach, denkt man als Konservativer, wie haben die das denn herausgefunden. Nun halten Links-Liberale sich ja traditionell für intellektuell haushoch überlegen. Das gehört gewissermaßen zur Kernidentität (und läßt sich womöglich sogar aus historischen Ursprüngen ableiten - mittellose freie Geister, die sich außer an ihrem Haß auf die Gesellschaft nur noch ihrem überragenden Intellekt aufzurichten vermochten; aber wir schweifen ab) und ebenso der Unwille, sich eine andere Weltsicht auch nur imaginieren zu wollen (am Können kann es ja nicht liegen, schließlich sind sie intellektuell durchgängig hochbegabt, ach stimmt, „begabt“ mögen sie ja nicht so, denn „biologistisches Denken“ steht schließlich unter Verdikt, wie auch immer). Und da, nennen wir sie hilfsweise von nun an die LiLibs, unsere Zeitgenossen von der anderen Feldpostnummer sich generell für vernunftgeleitet ansehen, lag eine solche Studie eigentlich lange in der Luft, warum kommt sie nur so spät.

Aber treten wir der Studie, soweit sie uns der Artikel vorstellt, etwas näher. Wir erfahren also, man habe bei  „Menschen, bei denen während der Schulzeit in Tests eine niedrigere allgemeine Intelligenz gemessen wurde“ festgestellt, daß sie als „Erwachsene mit größerer Wahrscheinlichkeit Verfechter autoritärer Forderungen“ seien und politisch eher am rechten Rand stünden. Dies hätten die Herren Gordon Hodson und Michael A. Busseri herausgefunden, nachdem sie die Langzeitdaten (ein Zeitraum von immerhin über 30 Jahren) von über 16.000 Briten analysierten, und folglich haben sie diese aufregende Erkenntnis prompt im Fachblatt „Psychological Science“ veröffentlicht.

Also: Die inzwischen Erwachsenen, die als Kinder im Intelligenztest eher armselig ausgesehen hatten, neigten demnach heute stärker zu Vorurteilen. Sie waren „häufiger fremdenfeindlich und sogar offen rassistisch“ und mieden Kontakte zu sozialen Gruppen, die in irgendwie „anders“ waren als sie selbst. Die Psychologen zogen auch amerikanische Untersuchungen heran, nach denen „Schwächen im abstrakten Denken“ zu einer „negativer Haltung gegenüber Homosexuellen“ führten. Methodisch korrekt, wie sie als  Wissenschaftler nun einmal sein müssen, rechneten die Psychologen „Einflüsse wie Bildungsniveau der Eltern und späteren eigenen Status der Erwachsenen heraus“.

Wie dieses „Herausrechnen“ aussah, enthält uns der Artikel leider vor. Hat in besagtem Rechenmodell ein späterer „höherer“ Status einen dämpfenden Einfluß? Wie groß ist da der Faktor?

Bisher haben wir über diese konservativen Haltungen nur gelernt, daß sie aus Vorurteilen gegenüber anderen sozialen Gruppen und offen rassistischen Haltungen bestünden, aber immerhin gibt es auch endlich einen gewissen Deutungsversuch: „Menschen, die mit geringerem geistigem Rüstzeug durchs Leben gingen und denen abstraktes Denken schwerer falle, seien anfälliger für die Hoffnung, die Welt klar, übersichtlich und unverrückbar ordnen zu können“. Das gelte für das Festhalten an tradierten Geschlechterrollen, die Ablehnung von Homosexuellen etc., daraus entstünden dann „leichter Vorurteile bis hin zu rassistisch-extremistischen Haltungen“.

Ein kleiner Einschub: Die Bolschewiki müssen demnach extrem konservativ gewesen sein, oder haben sie ihre Gegner wie Geistliche, bürgerliche Denker, Bauern, Adlige, Unternehmer etc. etc. massenhaft „sine ira et studio“ umgebracht? Gleiches gilt für die Roten Khmer.

Und der Begradigungsfuror und Beherrschungs-Wahn der Verwandten unserer LiLibs war nicht von dem Willen getrieben, „die Welt klar, übersichtlich und unverrückbar“ zu ordnen?

Der Artikel erzählt uns dann noch etwas vom „autoritären Charakter“, auf den Theodor W. Adorno und Max Horkheimer gestoßen seien. In den 90er Jahren habe dann der Psychologe Rainer Riemann „einen Zusammenhang zwischen konservativer politischer Einstellung und schwacher Aufgeschlossenheit für neue Erfahrungen und Werte“ festgestellt. Und der Neurowissenschaftler Ryota Kanai habe 2011 eine Studie veröffentlicht, bei der Probanden erst nach ihrer politischen Einstellung befragt wurden und ihnen anschließend per Magnetresonanztomografie ins Gehirn geschaut wurde.

Offenbar hatte er sich eine Werteskala zurechtgelegt, und diejenigen, die am konservativen Ende derselben landeten, hatten einen auffallend vergrößerten rechten Mandelkern. Und das ist jetzt so schön, das muß einfach im Ganzen zitiert werden:

„Das Hirnareal gehört zum limbischen System und wird besonders bei Angst und in Gefahr aktiv. Versuchsteilnehmer, die am anderen Ende der Skala mit besonders liberalen und 'linken' Auffassungen auffielen, hatten dafür einen auffallend voluminösen vorderen Gyrus cinguli. Diese Region des Gehirns ist für Mitleid und die Fähigkeit zur Einfühlung in andere bedeutsam.“

Kurz wird noch die Frage ventiliert, ob dies gewissermaßen angeboren sei, um dann doch zustimmend zu enden: „Für die geistigen Fähigkeiten von Menschen, die eher autoritärem und rechtsextremem Gedankengut zuneigen, konnten Hodson und Busseri das nun allerdings zeigen. Deren Fähigkeit zu abstraktem Denken liegt im Alter von zehn bis elf Jahren auffallend oft unter dem Durchschnitt. Dass Erziehung und Bildung für die späteren politischen Anschauungen unbedeutend wären, ist damit nicht gesagt. Nur müssen sie Herz und Verstand der Adressaten erreichen.“ Mit Umerziehung läßt sich also noch etwas 'rausreißen, eventuell. Ist ja auch schon vielfach versucht worden.

Was sollen wir dazu am Ende nun sagen, abgesehen davon, daß die Unverfrorenheit der „wissenschaftlichen“ Beweisführung unterhaltsam ist, man fühlt sich irgendwie an den „wissenschaftlichen Atheismus“ seligen Angedenkens erinnert. Vielleicht sollten wir doch ein wenig die Methodik befragen. Da wird also die Persönlichkeitsstruktur eines intellektuell unterdurchschnittlich begabten Menschen mit Neigung zu Abgrenzung, Sicherheit und Immobilität als „konservativ“ bezeichnet, um dann in einem großen Zirkelschluß bei der Aussage zu landen, daß Menschen mit besagten Neigungen eher weniger geistig rege sind und folglich, man rate - „konservativ“.

Dieser ganze Artikel enthält uns komplett vor, warum eine Neigung zu Vorurteilen unbedingt „konservativ“ sei und nicht auch an Stellen vorkommen mag, die sich selbst so ganz anders empfinden. Oder wird mit dem „Vorurteil“ zugleich ein gewisser Wahrheitsanspruch zu denunzieren versucht? Ist ein Festhalten an der Gültigkeit der Grundrechenarten oder etwa der Neigung, seinem Nachbarn nicht ohne Not den Schädel einzuschlagen, auch schon so ein Vorurteil. Nur ein kurzer Satz noch: Der Konservative glaubt, daß die kulturelle Substanz einer Gesellschaft durch Institutionen tradiert und am Leben erhalten wird, dazu bedarf es selbstredend einer Balance von Abgrenzung und Austausch; jede Zelle existiert nach diesem Prinzip.

Und wo wir gerade bei der Zelle sind: Diese Volte vom Menschen, der als leere Tafel nur von den Umständen sozialer Position, Erziehung, „revolutionärer Erfahrung“ etc. etc. beschrieben wird - der klassische Glaubenssatz unserer LiLibs – zum gewissermaßen genetischen Eingeschrieben-Sein, diese „biologistische“ Wendung ist schon atemberaubend.

Es wird gern naserümpfend der mittelalterliche Begriff von der „Philosophie als Magd der Theologie“ zitiert; in diesen Zeiten darf man bestaunen, wie die Vernunft, ihrer Würde beraubt, zur Hure des Interesses absinkt.
nachgetragen am 14. Mai 2012

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