Montag, 21. Mai 2012

Fundsachen



„Ihr Wetterkerle wettet Euch immer tiefer in diese heillose Zeit hinein – ich dagegen bin ganz im stillen, aber komplett mit ihr überworfen und entweiche ihr deshalb in den schönen faulen Süden, der der Geschichte abgestorben ist und als stilles, wunderbares Grabmonument mich Modernitätsmüden mit seinem altertümlichen Schauer erfrischen soll.“

„Mit der Gesellschaft im großen kann ich nichts mehr anfangen; ich verhalte mich gegen sie unwillkürlich ironisch; das Detail ist meine Sache. Bildung und Routine besitze ich nun genug, um mich im Notfall auch der höheren Politik gegenüber durchzubringen, nur mitmachen will ich nicht mehr, wenigstens in unserer hierländischen Konfusion nicht.“

„In Gottes Namen! Ändern kann ichs doch nicht, und ehe die allgemeine Barbarei (denn anderes sehe ich zunächst nicht vor) hereinbricht, will ich noch ein rechtes Auge voll aristokratischer Bildungsschwelgerei zu mir nehmen, um dereinst, wenn die soziale Revolution sich einen Augenblick ausgetobt hat, bei der unvermeidlichen Restauration tätig sein zu können – ›so der Herr will und wir leben‹, versteht sich.

Ihr werdet sehen, welche sauberen Geister in den nächsten zwanzig Jahren aus dem Boden steigen werden! Was jetzt vor dem Vorhang herumhüpft, die kommunistischen Dichter und Maler und dergleichen, sind bloß die Bajazzi, welche das Publikum vorläufig disponieren.

Ihr alle wißt noch nicht, was Volk ist und wie leicht das Volk in barbarischen Pöbel umschlägt.

Ihr wißt nicht, welche Tyrannei über den Geist ausgeübt werden wird, unter dem Vorwand, daß die Bildung eine geheime Verbündete des Kapitals sei, das man zernichten müsse.

Ganz närrisch kommen mir diejenigen vor, welche verhoffen, durch ihre Philosopheme die Bewegung leiten und im rechten Gleise erhalten zu können. Sie sind die feuillants der bevorstehenden Bewegung; letztere aber wird sich so gut wie die Französische Revolution in Gestalt eines Naturereignisses entwickeln und alles an sich ziehen, was die menschliche Natur Höllisches in sich hat.“

„Untergehen können wir alle; ich aber will mir wenigstens das Interesse aussuchen, für welches ich untergehen soll, nämlich die Bildung Alteuropas.“

Jetzt ist das doch mehr als ein kurzes verweisendes Zitat geworden. Der Herr Morgenländer hatte kürzlich diesen Brief Jacob Burckhardts in ganzer Länge gebracht, aus dem ich diese Passagen wiedergebe (man sehe also besser hier). Er (der Herr Morgenländer) meinte, es sei ein langer Brief, aber wieviel gedrängt ausgesprochene Prophetie, und da der unangenehme Part lange eingetreten ist, kann man nur hinzusetzen: Hoffentlich!

Heiliger See, Potsdam, photographiert von Matthias v.d. Elbe

Wo ich gerade auf den Herrn Morgenländer verweise, er ist Schuld an einer anderen Entdeckung, die ich unbedingt ebenfalls erwähnen will. Das Bild oben sollte schon einen Hinweis geben. Wer dies hier verfolgt, weiß, daß ich länger in der Nähe eines Ortes gelebt habe, der „Heiliger See“ genannt wird (daher auch mein „Erkennungsbild“), er ist einer der Seen Potsdams. Warum er so heißt, ist ungewiß. Möglicherweise stammt er von einer Kapelle der Heiligen Anna her, deren Geistliche an diesem See Fischereirechte hatten oder aus einem „Hellen“ wurde durch Sprachverschiebung ganz einfach ein „Heiliger See“. Wie auch immer, darum soll es diesmal gar nicht gehen, sondern darum, daß der Komponist David Ianni diesem Ort einen Klavierzyklus gewidmet hat - „Der Heilige See op. 91“.

Ewigkeit und Vergänglichkeit seien die Leitmotive seiner Kompositionen gewesen, sagt der Komponist. Der See in seiner stillen Beharrlichkeit stehe für die Ewigkeit, der uns immer wieder an die Vergänglichkeit unserer so lächerlich kurzen Existenz erinnere.

Ich hatte mich kürzlich etwas schnöde über moderne „E-Musik“ geäußert, das war so pauschalisierend dahingesagt natürlich eher schnöseliger Unsinn, allenfalls halb richtig. Hier jedenfalls (dem Beitrag des Komponisten ist das Musikstück beigefügt, man kann sich also leicht selbst ein Urteil bilden) findet sich etwas „Modernes“, das anrührend meditativ, dicht und traumwandlerisch präzise wie schwerelos daherkommt. Aber man sehe selbst.
nachgetragen am 24. Mai

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