Ich hatte Herrn Roloff, wenn ich mich recht besinne, einmal versprochen, seine Predigten nicht zu veröffentlichen, bevor er sie auch gehalten hat. Insofern führt das Datum in die Irre, tatsächlich haben wir bereits Sonntag, ich bin soeben vom Gottesdienst zurück und wollte vor den üblichen Essensvorbereitungen dies gern noch hier anbringen.
Es ist eine recht politische Predigt, zumindest im ersten Teil, was eher ungewöhnlich für ihn ist, aber im 2. Teil haben wir dann wieder den angenehm vertrauten Predigtton, fast hätte ich gesagt des 19. Jahrhunderts. Und da er sich deutlich auf den 13. August 1961 bezieht, dachte ich, dann stellen wir sie auch dorthin. Er ist sehr entschieden im Ton. Manche werden das schroff finden, vielleicht weil sie meinen, dies Wort „Sozialismus“, was ja im Grunde auch ein rechtes Wieselwort ist, würde sich noch immer mit irgendwelchen verschwommen emanzipatorischen Hoffnungen verbinden lassen. Herr Roloff verweist hingegen auf das, was sich bisher unter diesem Zeichen ereignet hat, und kommt nachvollziehbar zu seinen Schlüssen.
Predigt zum 8. Sonntag nach dem Trinitatisfest 2011
Jes 2, 1-5
Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserem Vater und unserem Herrn Jesus Christus. Amen
Liebe Gemeinde,
diese wunderbare Verheißung vom Ende und von der Erfüllung aller Geschichte, wie sie uns hier durch den Propheten Jesaja gegeben ist, soll die Grundlage dafür sein, in unsere eigene jüngste Geschichte zu blicken. Das Wort „Schwerter zu Pflugscharen“ nämlich ließ in den 80er Jahren noch einmal geradezu archaisch deutlich werden, welche Gewalt von der Heiligen Schrift ausgeht.
Die Mächtigen der damaligen Zeit fühlten sich bedroht durch eine Forderung, die sie doch selbst erhoben und sich zu eigen gemacht hatten. Der sowjetische Künstler Jewgeni Wiktorowitsch Wutschetitsch hatte die Skulptur vom kraftvollen Schmied, der ein riesiges Schwert in eine Pflugschar umschmiedet, geschaffen. Die Sowjetunion schenkte das Kunstwerk der UNO 1957, und nun steht es noch immer an ihrem Hauptsitz am New Yorker East River. Man spürt daran bis heute, wie irrational die Verhältnisse in der Spätphase der DDR-Zeit geworden waren. Zahlreiche Jugendliche wurden brutal gemaßregelt, wenn sie den Aufnäher mit diesem Slogan der Friedensbewegung an ihrer Kleidung trugen.
Wutschetitsch hatte übrigens auch das Treptower Ehrenmal und die Mutter Heimat von Stalingrad erschaffen. Monumentale Bildwerke einer uns langsam immer fremder werdenden Epoche. Gerade darum aber haben wir die Pflicht, an diese Zeit zu erinnern.
Dieser Sonntag steht zeitlich natürlich auch im Zusammenhang mit dem Gedenken an den 50. Jahrestag des Baus der Berliner Mauer, der gestern begangen wurde. Die Mauer war die Garantin für die Aufrechterhaltung aller absurden und menschenunwürdigen Zustände in der DDR und in der gesamten östlichen Hemisphäre.
Es hat sich in den letzten Tagen eine zynische Debatte über die Ursachen der Mauer entsponnen, und es gibt Menschen, die diesem monströsen Bauwerk zumindest eine gewisse Berechtigung zusprechen wollen. Da heißt es, die Mauer wäre das Ergebnis des verlorenen Krieges gewesen und war gar nicht so sehr durch die deutschen Kommunisten verschuldet. Diese hätten angesichts der Tatsachen gar keine andere Wahl gehabt. Heute würde man vermutlich sagen, die Mauer wäre alternativlos gewesen.
So versteckt sich immer einer hinter den Untaten des anderen. Zwei Dinge müssen dazu immer gesagt werden: Zum einen ist Geschichte nicht irgendein anonymes Schicksal, das über Menschen und Völker hereinbricht, sondern Geschichte wird aus dem, was Menschen tun. Zum anderen darf man auch nicht vergessen, dass zu den sichtbar Handelnden immer diejenigen hinzukommen, die dieses Handeln dulden.
Dann wiederum wird von maßgeblichen politischen Kräften unserer Tage eingeräumt, dass man zwar an dem Ziel des Sozialismus festhalten würde, eine Mauer aber zu dessen Durchsetzung nicht mehr in Frage käme. Dazu muss gesagt werden, dass es sich bei dieser Bewertung mindestens um einen historischen Irrtum, wenn nicht sogar um eine vorsätzliche Täuschung handelt. Die Mauer war doch gar nicht die Voraussetzung für den Aufbau der neuen, gerechten, sozialistischen Gesellschaftsordnung. Der wurde bereits seit 1952 konsequent betrieben. Die Mauer war das zwangsläufige Ergebnis dieses Aufbaus, der in seinem Kern eine fortgesetzte Zerstörung der bürgerlichen und christlichen Ordnung unseres Landes gewesen ist, die ohnehin bereits schwersten Schaden genommen hatte. Die Menschen entschieden sich aber in immer größer werdender Zahl gegen diesen Weg und verließen das Land.
Es wurde ganz klar, Freiheit und Sozialismus sind nicht zu vereinbaren. Eine Gesellschaft, die die Würde des Menschen, seinen Glauben, seine Freiheit und sein Eigentum nicht achtet, kann immer nur hinter Mauern errichtet werden.
Natürlich sind das ganz einfache Sätze, aber gerade sie sind wie das Licht, das in einen Raum fällt und auf einen Schlag alles Gespensterhafte, Nebulöse und Unklare verschwinden und die Tatsachen im wahrsten Sinne des Wortes zutage treten lassen.
Wenn das nun schon für diese Zusammenhänge gilt, um wieviel mehr trifft es auf das zu, was der Prophet Jesaja ausspricht. Damals, in den 80er Jahren, konnte man genau das erkennen: Das Prophetenwort wurde in die Zeit hineingesprochen, und es war wie ein klares Licht, vor dem die ganze Heuchelei, Unaufrichtigkeit, ja Verlogenheit der damals Mächtigen sichtbar wurde.
Die DDR entlarvte sich zum wiederholten Male als das, was sie in ihrem Kern immer war, eine brutale Diktatur, die ein ganzes Volk eingesperrt und seine Gegner willkürlich verfolgt hat. Wo es kein Recht gibt, da kann es schon gar keine Gerechtigkeit geben, wo es keine Freiheit gibt, da gibt es auch keinen Frieden.
Im Wort des Propheten, im Wort Gottes, in unserem Glauben allein finden wir den verbindlichen und den uns mit Menschen verbindenden Maßstab für ein Leben in Würde. Die Würde des Menschen wird ihm von Gott verliehen. Wo also der Glaube aufhört, da ist auch immer die Würde des Menschen in Gefahr. Es gilt aber auch umgekehrt, dass wo die Würde des Menschen nicht geachtet wird, da darf man sich auf den Glauben nicht mehr berufen. Der wahre Glaube entzündet sich gleichsam auch immer wieder an der Achtung der Gottesebenbildlichkeit aller Menschen.
Das ist es nun aber, was wir im Einzelnen vom Propheten Jesaja erfahren:
• „Es wird zur letzten Zeit der Berg, da des Herren Haus ist, fest stehen, höher als alle Berge und über alle Hügel erhaben, und alle Heiden werden herzulaufen,“
Damit wird uns deutlich gemacht, dass die Geschichte ein Ziel und unser Weg ein Ende hat. Wir können uns darauf verlassen, dass unsere Geschichte und immer auch unser persönlicher Weg ein Weg mit Gott ist. Der Gott, der sich auf den Bergen als mächtig erwiesen hat, auf dem Sinai, auf dem Zion, auf dem Tabor, auf dem Golgatha, wird auch in der letzten Zeit für alle sichtbar sein, weil er auf dem Berge sein wird, der höher ist als alle Berge.
• „und viele Völker werden hingehen und sagen: Kommt, lasst uns auf den Berg des Herren gehen, zum Hause des Gottes Jakobs, dass er uns lehre seine Wege und wir wandeln auf seinen Steigen!“
Wir werden überrascht sein, wer da alles gelaufen kommen wird, und natürlich, wenn der Berg Gottes sichtbar ist, dann werden es alle schon immer gewusst haben. Warum aber sollte uns das kränken? Vielmehr sollen und werden wir uns freuen:
• „Denn von Zion wird Weisung ausgehen und des Herren Wort von Jerusalem“
Es ist eine tröstliche Gewissheit, dass uns diese Weisung verheißen aber, auch bereits zuteil geworden ist.
• „Und er wird richten unter den Heiden und zurechtweisen viele Völker. Da werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Sicheln machen. Denn es wird kein Volk wider das andere das Schwert erheben, und sie werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen.“
Das ist eine gnädige Vorstellung vom Gericht. Oft habe ich den Eindruck, dass wir Menschen uns die Worte Richten und Zurechtweisen verdorben haben in unserer Erwartung, da wird jemand mal so richtig angeschnauzt, kriegt sein Fett weg und wird ordentlich bestraft, dass es uns eine Freude, eine rechte Schadenfreude ist.
Das aber ist offensichtlich nicht gemeint, wie wir am Ergebnis leicht sehen können. Gott richtet, indem er aufrichtet, heil macht, zum Guten befähigt. Er weist zurecht, indem er neue Wege eröffnet, auf denen das Leben dann weitergehen kann in der Gemeinschaft mit ihm und mit den Menschen. Gottes Jüngstes Gericht ist darum wohl eher einem wirklichen Richtfest zu vergleichen, wie wir es begehen, wenn wir uns Häuser bauen. Gottes Jüngstes Gericht ist ein Richtfest zum ewigen Leben.
So lernen denn auch die Menschen erst durch und mit und im Richterspruch Gottes, alles fortzuräumen, was sie am Guten hindert und wirklichen Frieden zu halten. Nicht wir bringen den Frieden hervor, das wäre menschliche Hybris, sondern Gott schenkt ihn uns.
• „Kommt nun, ihr vom Hause Jakob, lasst uns wandeln im Licht des Herrn!“
Hier spricht nun scheinbar ganz unvermittelt der Prophet Jesaja in seine Gegenwart hinein, an seine Mitmenschen gerichtet. Kommt, lasst uns wandeln im Licht des Herrn! Das ist es, was auch die Kirche unserer Gegenwart vermitteln kann und muss, die Gewissheit vom Ende, vom Kommen und Richten Gottes ist bereits jetzt ein Licht, das leuchten wird, wenn man sich dem anschließt, der von sich gesagt hat: Ich bin das Licht der Welt.
Christus ist unser Licht und unsere Freiheit, mit ihm können wir auch über Mauern springen.
Amen
Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn.
Amen
Thomas Roloff