Sonntag, 5. August 2012

Martyn Wyndham-Read


Where Ravens Feed
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Aus gewissen Gründen waren wir in dieser Woche unübersehbar schweigsam. Dabei ist auch dieser Gast-Beitrag unberücksichtigt geblieben, was natürlich unverzeihlich ist, er stammt von jemandem, den ich seit einigen Jahrzehnten kenne, den Gastautor, nicht den Sänger, der war mir, zu meiner Schande eingestanden, völlig unbekannt. Und da ich an Gastbeiträgen natürlich nichts herumändere, bin ich auch für den Inhalt vollständig unverantwortlich, irgendwie. Mit anderen Worten, ich habe ihn mit der gleichen irritierten, sagen wir besser überraschten Neugier gelesen, wie möglicherweise meine verbliebenen Leser. Auch die Videos wurden vom Autor zusammengetragen, und ich gestehe, selten etwas derart Skurriles, wie im nachfolgenden gesehen zu haben.


Oh little Town of Bethleham
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70 mal Martyn Wyndham-Read – 
weitreisender Schatzsucher und Menschen-Beweger

Folksänger stehen für wache Erinnerungen, gelebtes Miteinander und große Gefühle über lange Zeiten hinweg. Viele gibt es davon nirgendwo und gute sind immer rar. Das hängt meist am Musikgeschmack der Masse, die immer weniger bewusste Zuhörer aber noch weniger qualifizierte Macher hervorbringt.
Wofür in Deutschland etwa seit den 70ern Hannes Wader steht, also traditionelles Liedgut mit tieferen und nachdenklicheren Tönen, eben nicht im Sinne Gotthilf Fischers, das ist Martyn Wyndham-Read in England.  Der begann zur gleichen Zeit aus ähnlichen Motiven, ging früh nach Australien, um zu leben, zu arbeiten oder besser, um sich durchzuschlagen.

Von dort aus entriss der britische Barde alte Songs  von Liebe, Wein, Leben und Tod, dem Vergessen und er hauchte diesen mit seiner eindringlich beseelten Stimme ein zeitloses  Verständnis ein.
Dazu fördert er bis heute neue Liedermacher und ist auch quer durch die Welt auf Workshops und Festivals zu Hause.

Zusammen mit der unglaublichen Iris Bishop, mit ihrer alles zum Schmelzen bringenden Concertina, bewegt MWR die Seele zum Mit-Singen.  Alles hat Substanz, in hellen wie in dunklen Akkorden und in jeder stimmlichen Bewegung. Wynham-Read ist ein Star mit höchster Professionalität, wirkt aber nicht so, sondern eher wie der seriöse und liebenswürdige Nachbar, den man glaubt immer schon zu kennen und oft würzt er seine deutenden Einleitungen mit einem guten Schuss besten englischen Humors.  Mit anderen Granden seines Fachs pflegt er herzliche Arbeitsfreundschaften etwa mit dem nicht weniger profilierten Duo Bill Whaley & Dave Fletcher. Oft weichen seine Liedfassungen von den sogenannten Originalen ab, sind dadurch aber immer besser.

Er und die Seinen destillieren das Persönliche in jedem Stück und holen das Konkrete und Schicksalhafte an das Licht. Tief in das Gemüt gehen Stücke wie „Where Ravens Feed“ von Graem Miles, aus den durch gekonnte Lautmalerei  große Landschaften entstehen, wie sie vielleicht William Turner gemalt hätte. Politik ist immer dabei, doch als nicht präsenter Hintergrund, stets aber wohl adressiert. Wenn Wyndham-Read „seinen“ unglaublichen ANZAC –Song singt, erinnert mich das  wohl an Waders „heiße Märzenszeit“ und auch daran, dass solche Ausnahmekünstler musikgeschichtlich und wohl leider auch musik- und politikwissenschaftlich kaum rezipiert werden.  Das ist eigentlich egal, denn die brauchen es ja auch nicht wirklich, es ist aber trotzdem schade.

Umso wichtiger ist es, dass Martyn Wyndham-Read ¸in concert, selten die Geschichte seiner Songs nicht mindestens so gut kommentiert, als säßen die Zuhörer in einem Meisterkurs. Iris Bishops berüchtigte Stille dabei, ist mindestens ebenso beunruhigend wie die Klasse, zu der dann auch das Publikum beiträgt, wenn der Meister mit der typisch, dezenten rechten Handbewegung von unten her, zum Mitsingen einlädt.

Wyndham-Read ist ein großer Humanist der viel gesehen hat, durch sein Werk spricht und deshalb nicht viel mehr erklären muss. Mir ist durch ihn die englische und auch altenglische Folkmusic wieder gegenwärtig geworden, die wir in Deutschland zumeist vor der Übermacht der irischen-schottischen Werkepräsenz in totaler Unkenntnis „auf Shantys verengt“ wahrnehmen. Deshalb ist einer, wie Wyndham-Read immer auch Interpret von Schätzen, Canadas, Südafrikas, natürlich Australiens aber nicht zuletzt auch Irlands. Dieses Weltbild gefällt mir.

Die aktuellen YouTube-Debatten über Rechte oder deren Gegenteil  lassen  wir hier mal beiseite. Auch bei mir war der Wunsch nach dem Original ohne mein „roam and ramble“ dort nicht denkbar.
Ein paar Appetizer habe ich dazu gelinkt – ich glaube, es wird ihm recht sein.

Am 23. August wird der Grand Senior des English oder besser British Folk 70 Jahre.
Zum Gratulieren ist es vielleicht noch zu früh, zum daran Denken aber nicht.



Torsten Kurschus

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