Sonntag, 30. September 2012

Sonntag &

poorly translated

Als wäre Sommer, könnte man meinen. Es war leidlich warm genug, um noch einmal draußen zu essen. Zu den Garnelen kommen wir gleich. Was auf dem nächsten Bild so undeutlich zu erkennen ist, sind drei Filets vom Dorsch, paniert; anschließend wurden sie von mir gebraten und sahen so aus.



Ich gestehe, ich war vorher schon eher skeptisch und unbegeistert (zurecht, es stellte sich als ein Gericht heraus, das eher in die Woche paßt, am besten dann, wenn man anderweitig sehr abgelenkt ist) und suchte nach einer Ergänzung. So kamen die Garnelen ins Spiel, kurz in Öl gebraten, auf Rucola angerichtet, mit einer Art von Vinaigrette aus Olivenöl, Zitronensaft, Pfeffer und etwas Salz und Ahornsirup (ich hatte es mit dem Zitronensaft übertrieben; übrigens erhielt ich die Empfehlung, dafür Walnußöl zu verwenden, dann aber hörte ich, das hätte sie in den letzten Kartoffelsalat getan, und es hätte nicht einmal geschmeckt, *seufz! Menschen). Übrigens waren die Garnelen ausgesprochen nett! 


Dazu Rosenkohl und keine Sauce, ich kann mich nicht erinnern, wann letzteres Nicht-Ereignis hier das letzte Mal vorkam, aber wie man sieht, ging die Welt davon nicht unter, bis jetzt.


As if it would be still summer. It was fairly warm enough today to eat alfresco again. We'll come to the shrimps in a moment. The shapeless mass in the next picture are three codfish fillets, breaded and then cooked, and the next picture give you an idea how they looked like when done.

I admit I was already previous skeptical and unimpressed from this idea (and indeed it turned out to be a dish that is more suited to the week, the best if you are distracted elsewhere, a lot) and was looking for a supplement. So the shrimps came into play, sautéed in oil, served on arugula, with a sort of vinaigrette of olive oil, lemon juice, pepper and a little salt and maple syrup (I had overdone it with the lemon juice; by the way I got the recommendation to use Walnut Oil, but then I heard she used it for the last potato salad, and it didn’t even tasted fine, *sigh people). I think I’m forced to say the shrimps were extremely nice!

Then sprouts and no sauce, I can’t remember when the latter non-event occurred here the last time, but as you can see, the world still exists, well until now.


Samstag, 29. September 2012

St. Michael, verspätet

Simon Ushakov, 
Der Erzengel Michael, den Teufel unter seinen Füßen, 1676

Ungläubig bemerke ich eben, daß ich an den Bezwinger Satans, den Anführer der himmlischen Heerscharen vor Gottes Thron, den Hüter des Paradiestores, und seit dem Sieg über die Ungarn auf dem Lechfeld 955 n. Chr. Schutzpatron des Heiligen Römischen Reiches, den Erzengel Michael nämlich, diesmal nicht erinnert habe, wie es mir die Jahre zuvor doch gelang.

Ich ziehe nunmehr beschämt die (virtuelle) Zipfelmütze des „deutschen Michel“ (von daher rührt der Name nämlich) wieder über beide Ohren und begebe mich zurück in meinen geistigen Tiefschlaf, nicht ohne vorher noch eine andere Interpretation von Bachs Kantate zum Michaelis-Fest (BWV 19) "Es erhub sich ein Streit" anzubringen, genauer gesagt der Aria "Bleibt ihr Engel":

Bleibt, ihr Engel, bleibt bei mir!
Führt mich auf beiden Seiten,
daß mein Fuß nicht möge gleiten.
Aber lehrt mich auch allhier,
euer großes Heilig singen
und dem Höchsten Dank zu bringen.
Bleibt, ihr Engel, bleibt bei mir!


nachgetragen am 1. Oktober

Freitag, 28. September 2012

Ludwig Richter oder Über den Trost des Kitsches


Was eigentlich ist „Kitsch“? Etwa Spitzweg, Richter oder neuerdings Koons? Adrian Ludwig Richter jedenfalls wurde am 28. September 1803 in Dresden geboren. Ein noch häufig beliebter „Romantiker“; mein Elternhaus war überreich mit seinen Reproduktionen dekoriert. Daher das kleine Arrangement dort oben. Nachfolgend das Bild erneut (wenn die Abbildung auch nicht eben von guter Qualität ist), dessen ausführlicher Name: „Aufsteigendes Gewitter am Schreckenstein bei Aussig“, geschaffen 1835, in seiner böhmischen Phase, als er wieder künstlerisch auflebte, nachdem man ihm schon vorgehalten hatte, zu einem „vertrockneten Italiener“ geworden zu sein; denn Italien hatte ihn inspiriert, aber die Erinnerung verblaßte bereits.

Ludwig Richter, Der Schreckenstein bei Aussig

Das war von 1823 bis 1826 gewesen. In den Jahre zuvor hatte er zunächst von seinem Vater, einem Kupferstecher, Zeichenunterricht erhalten, es folgte ein Studium an der Dresdner Kunstakademie, nachdem sein Vater dort Professor für Landschaftszeichnen geworden war, für diesen ein merklicher Aufstieg aus handwerklich beschränkten Verhältnissen. Der Sohn über seine Jugend: „Meine Jugend war arm, verkümmert, vielfach bedrückt, und meine Lehrzeit war nur Arbeitszeit gewesen; ich lernte nichts oder wenig dabei.“ Und über die Akademiezeit: „Wenn ich an diese beengenden Zustände zurückdenke, so begreife ich wohl, wie schwer es war, sich aus den Banden solcher durch Autorität und Tradition sanctionierter Irrtümer herauszuwinden.“ Sein Drang ging zum „einfach Wahren, Naturgemäßen“, verkörpert von Malern wie Caspar David Friedrich oder Johan Christian Dahl, Friedrich seit 1798, der andere seit 1818 in Dresden. Und die ersten zaghaften nazarenischen Einflüsse machten sich bemerkbar. Friedrichs Einfluß blieb (leider) nicht von Dauer. Aber für Richter bot sich eine erste Ausflucht aus den bedrückend empfundenen Umständen als zeichnender Reisebegleiter des Fürsten Narischkin (1820/21) nach Südfrankreich und Paris. Diese Reise trug künstlerisch zwar nicht viel aus, doch erweiterte sie seinen Horizont beträchtlich.

Ludwig Richter, Überfahrt am Schreckenstein

Aber wo wir mit dem ersten Gemälde begannen, sollten wir die biographischen Notizen kurz beiseitelassen und auf ein darauf folgendes eingehen. Die nächste schlechte Abbildung (der Leser mag eine bessere finden) gibt einen Hinweis auf eine große Programmdarstellung der Romantik, so liest man, von 1837. Der Wanderbursche, der auf seinen Stock gestützt, zur Burgruine emporschaut, der zeitversunkene Harfner, das zögernd seelennahe junge Paar... eine Neufassung des alten Topos' vom Schiff des Lebens, ein Sehnsuchtsbild, und ein populäres dazu. Und wo wir beim Stichwort „populär“ sind, der „Brautzug im Frühling“ von 1847 dürfte in so mancher bescheidenen Kammer eines empfindsamen jungen Mädchens über die nächsten 100 Jahre gehangen haben. Richard Wagners Oper „Tannhäuser“ hatte die Inspiration dazu geliefert.

Ludwig Richter, Brautzug im Frühling 
Ludwig Richter, Brautzug im Frühling, Ausschnitt

Aber bevor wir zur Biographie des Künstlers zurückkehren, müssen wir unbedingt noch dieses bringen - „Genoveva in der Waldeinsamkeit“ von 1841, eine poetisch tiefempfundene, wohl innigste Waldlandschaft der deutschen Malerei des 19. Jahrhunderts, so lese ich. „Aus grüner Waldesdämmerung und Schattenkühle leuchtet juwelenhaft ein Stück Wiese, erstrahlt in kräftigem Rot und Weiß die Gruppe der Heiligen mit dem Kind und der Hirschkuh. Hier ist mit Fels- und Baumkulisse ein Schutzwall gegen die bedrohliche Außenwelt aufgerichtet, ein trauliches Klein-Arkadien...“ (Hans Joachim Neidhardt „Ludwig Richter“, Leipzig 1991, S. 54)

Ludwig Richter,  Genoveva in der Waldeinsamkeit

Nun, bevor Richter bei dieser Innigkeit anlangte, nahm er ein paar Umwege. Von 1821 bis 1823 hielt er sich wieder in Dresden auf, aber dann gelangte er für nahezu 3 Jahre nach Rom, die wohl am meisten erfüllte, hoffnungversprechende Zeit seines Lebens. Er schloß zahlreiche Freundschaften dort, mit Julius Schnorr von Carolsfeld etwa. Richter war immer noch vor allem Landschaftsmaler, die Darstellung des Menschen mußte er mühsam nachholen, wie dieser leicht linkische Akt später anzeigt. Italien gab ihm nicht nur Ideen ein, es belebte auch seine künstlerischen Fähigkeiten. Zu den Ideen sei nur seine Absicht genannt (1824), „deutsche Natur zu einem Ideal, zu edler Größe zu erheben, damit sie nicht wie bisher den untergeordneten Rang der Idylle behält, sondern zum Epischen sich erhebt… Der Gegenstand ist groß und erhaben genug.“

Zurück aus Italien, lehrte er von 1828 bis 1835 an der Staatlichen Zeichenschule in Meißen, die der mangelhaften Qualifikation der dortigen Porzellanmaler aufhelfen sollte. Ende 1836 wird er nach deren Auflösung an die Dresdner Kunstakademie versetzt und Professor für Landschaftsmalerei. Obwohl er sich längst auf die Buchillustration verlegt hatte. Richter hat vielleicht sechzig Ölgemälde geschaffen gegenüber etwa 2600 Holzschnitten. Richter illustrierte z. B. die berühmten „Volksmärchen der Deutschen“ von Johann Karl August Musäus, und einiges anderes, das ihn tatsächlich populär machte.

Ludwig Richter, Der erste Schnee

Ludwig Richter, Kindersegen

Ludwig Richter, "Mein Nest ist das Best"
Ludwig Richter, Kinderorchester

Es fällt schwer, etwas zu diesen Darstellungen zu sagen. Sie haben etwas von der Art von Lack- oder Lebkuchenbildern, die man spontan mag, weil sie in einen wohltuenden Seelenzustand befördern, und man würde sich falsch fühlen, sollte man beginnen, an ihnen herum zu kritteln. Aber doch fühlt man sich, wenn man ehrlich ist, nicht unbedingt in der Art ermutigt und angeregt, wie man sie von wirklicher Kunst erwarten darf. Dennoch. Seine italienischen Zeichnungen deuten an, was groß hätte werden können. In seiner Hinwendung zum Böhmischen und Sächsischen mag man das Bemühen erkennen, absterbende Erinnerung gegen etwas Lebendiges einzutauschen und ihm gerecht zu werden, auch wenn es merkwürdig geschlossen erscheint. Man vergißt zu leicht, wie sehr ein Künstler aus dem Ort heraus wirken muß, an den er gebunden ist.

Ludwig Richter, Brunnen bei Ariccia

Ludwig Richter, St.-Annen-Kirche zu Graupen in Böhmen

Ludwig Richter, Aktstudie

Eigentümlich erscheint, daß diese geschlossenen und dabei gewissermaßen auch zurückgenommenen späten Darstellungen durchaus charaktervoll auftreten. Man würde sie sofort wiedererkennen. Im Titel warf ich die Frage auf, inwieweit das schon „Kitsch“ wäre, eine vertrackte Frage, die diesen Beitrag erheblich verzögert hat. Ich will meine Gedanken dazu, ein paar wenige existieren tatsächlich, auf einen nachfolgenden Beitrag verschieben. Ich  höre schon zeitgenössische Maler reden, Kitsch sei, was jemand für Kitsch halte, aber diese erkennbar belanglose Floskel lassen wir besser beiseite.

Und Richter? Er, der hätte ein großer Künstler werden können, vermutlich, zog es vor, ein geliebter zu sein, vielleicht war dabei eine Art Zwang im Spiel, aber davon wissen wir nichts.

Ludwig Richter, Die Christnacht

nachgetragen am 7. Oktober
Teil 2 folgt

Donnerstag, 27. September 2012

Äpfel &





Ludwig Uhland

Einkehr

Bei einem Wirte wundermild
da war ich jüngst zu Gaste.
Ein goldner Apfel war sein Schild
an einem langen Aste.

Es war der gute Apfelbaum
bei dem ich eingekehret
Mit süßer Kost und frischem Schaum
hat er mich wohl genähret.

Es kamen in sein grünes Haus
viel leichtbeschwingte Gäste
Sie sprangen frei und hielten Schmaus
und sangen auf das Beste.

Ich fand ein Bett zu süßer Ruh
Auf weichen, grünen Matten
Der Wirt er deckte selbst mich zu
Mit seinem kühlen Schatten.

Nun fragt ich nach der Schuldigkeit.
Da schüttelt er den Wipfel
Gesegnet sei er allezeit
von der Wurzel bis zum Gipfel.


Dienstag, 25. September 2012

Varia

 Extracts from "The art of Piano",Glenn Gould playing J.S.Bach's Partita no 2
hier gefunden 

Eigentlich wollte ich in diesem Moment einen Nachtrag zu einem Buch liefern, das mich beim Hindurch-Kämpfen erst geärgert, aber dann vor allem ermüdet hat (Christopher B. Krebs: Ein gefährliches Buch. Die „Germania“ des Tacitus und die Erfindung der Deutschen). Aber ich schwanke noch.

Darum jetzt etwas anderes. Zum ersten, der Autor stieß mich erneut auf die Tatsache, daß tatsächlich die deutsche Sprache spät zu literarischem Bewußtsein ihres Werts gelangt ist. Und das, obwohl von der Vogelweide und Konsorten so eindrucksvoll vorgearbeitet hatten. Selbst mein geliebtes Barock hat leider keinen Shakespeare hervorgebracht. Es ist wirklich ein mehr als zu viel an Brüchen in der deutschen Geschichte. Darum wollen wir daran erinnern, daß Georg Rodolf Weckherlin am 25. September 1584 nach gregorianischer Zählung geboren wurde, ein tapferer Neu-Beginner.


Klaviersonate KV 331, W. A. Mozart

Georg Rodolf Weckherlin

Schönheit nicht wehrhaft

Laßt uns in den garten gehen,
schönes lieb, damit wir sehen,
ob der blumen ehr, die ros,
so euch eure farb gezeiget,
da sie heut der thau aufschloß,
ihren pracht noch nicht abneiget.

Sih doch, von wie wenig stunden
ihre schönheit überwunden,
wie zu grund ligt all ihr ruhm!
wie solt man, natur, dich ehren,
da du doch ein solche blum
einen tag kaum lassest wehren?

Was ist es dan, daß ihr fliehet,
indem euer alter blühet,
von meiner lieb süßigkeit?
ach, genießet eurer jahren!
die zeit wird eure schönheit
nicht mehr, dan die rosen, sparen.

Leben, nebel

Mensch, bist du klug,
und wilt recht wissen was dein leben,
so merk das wörtlein leben eben;
da hast du gnug.
lies es zuruck, so wirst du sehen,
was es, und wie es thut vergehen.


Goldberg Variationen, J. S. Bach

Glenn Herbert Gould wurde ebenfalls an einem 25. September geboren, nämlich 1932. Dem Blogger Jay verdanke ich, daß ich auf das oberste sehr merkwürdige Video stieß, aber an Gould ist bekanntlich vieles merkwürdig. Nicht allein, daß er Mozart für eher mittelmäßig hielt, er schickte ihm auch noch u.a. die obige Interpretation hinterher (Nr. 2), wahrlich kein Maulheld. Das letzte Stück ist zwar von grausiger Aufnahmequalität, aber man bekommt doch eine Ahnung. Eine verwegene Gestalt, und irgendwie unsterblich.
nachgetragen am 26. September

Sonntag, 23. September 2012

Sonntag &

poorly translated


Ich denke, ich werde dem hiesigen Gospel-Chor beitreten. Ob das meiner Frömmigkeit gut tun wird, weiß ich eher nicht. Aber es war einfach recht angenehm im Gottesdienst, wenn man davon absieht, daß ich 20 Minuten zu spät ankam. Das waren genau die 20 Minuten, die ich unerwartet mit der Schwarte des heutigen Krustenbratens beschäftigt zubrachte, das Ding war nahezu unschneidbar, verrückt.

Wir haben nun also Herbst, man spürt es; jedenfalls war es der erste Sonntag nach langer Zeit im Haus, was das Sonntagsessen betrifft. Man hätte es vielleicht noch einmal draußen versuchen können, nun gut, das Leben soll ja auch nicht zu einem Ausdauertest entarten.

Der Krustenbraten war gewünscht, also bringen wir die Beschreibung in angemessener Kürze. Geschmort wurde er auf Butterschmalz, Zwiebeln, Thymian, Oregano und Rosmarin, aus dem Bratenfond entstand mit der Hilfe von Sahne eine recht passable Sauce. Was wäre weiter zu erwähnen; es gab Bohnen mit brauner Butter, ein paar gefüllte Nudeln und mindestens einen sehr zufriedenen Esser. Es gibt Schlimmeres.



I think I'll join the local gospel choir. Whether that will be good for my piety I’m not sure. But service today was quite pleasant, apart from the fact that I arrived 20 minutes late. Those were the 20 minutes that I spent working unexpectedly with the rind of today's crust roast, that thing was almost un-cuttable, strange.

So, we have autumn now, you can feel it, the first Sunday after a long time in the house, for Sunday dinner. We could perhaps have tried to eat al fresco, but well, life is not supposed to degenerate into a test of endurance.

The pork roast was “wished”, so we put the description to reasonable brevity. Braised it was on butter with onions, thyme, oregano and rosemary, from the gravy with the help of cream was created a pretty decent sauce. What to say more; there were beans with brown butter, a bit of stuffed pasta, and at least one very satisfied eater. There are worse things.



Samstag, 22. September 2012

Bismarck – ein Kalenderblatt


Schloß Babelsberg

Wo ich langsam wieder zu vorläufigem Leben erwache, fällt mir auf, ich hätte fast den nachfolgenden Text von Herrn Roloff zu unserem Fürsten Bismarck unterschlagen. Aber das soll keineswegs geschehen.

Potsdam, Park Babelsberg, Flatowturm

Vor 150 Jahren wurde Bismarck preußischer Ministerpräsident


Am heutigen Samstag, den 22. September, jährt es sich zum 150. Mal, dass der in Schönhausen geborene Otto von Bismarck durch König Wilhelm I. zum preußischen Staatsminister und wenig später auch zum Ministerpräsidenten ernannt worden ist. Die Berufung erfolgte auf dem Höhepunkt des Verfassungskonflikts, der zwischen dem Monarchen und dem Abgeordnetenhaus hinsichtlich der Herrschaft über die Armee des Landes ausgebrochen war. Das durch die Liberalen dominierte Parlament machte dem König über den Umweg des Budgetrechts seinen Einfluss auf das Militär streitig. Wilhelm I. konnte diesen Eingriff in sein Selbstverständnis als König von Preußen auf keinen Fall hinnehmen und war bereit abzudanken. Seine Vertrauten empfahlen ihm die Ernennung Bismarcks, der  Botschafter in Paris war und dort ungeduldig auf eine Entscheidung wartete. Am 12. September 1862 schrieb er an den Außenminister Graf Albrecht Bernstorff: „Ich habe meine Frau und Kinder seit dem 8. Mai nicht gesehen und führe seitdem eine Existenz, welche allen Gewohnheiten eines Familienvaters widerspricht. Die Meinigen sind auf dem Lande in Hinterpommern, meine Sachen noch in Petersburg, meine Wagen in Stettin, meine Pferde in Schönhausen, und ich selbst weiß nicht, wo ich mein Haupt zu Winter niederlegen werde. Ich appelliere an Ihre eigenen deutsch-hausväterlichen Gefühle, ob ein solches Leben auf die Dauer für einen Gatten und Vater von achtbarem Schlage erträglich ist.“ Nun sollte seine Ernennung die letzte Möglichkeit sein, um den Kampf fortzusetzen.

Die Mutter des Diplomaten, die bereits 1839 verstorbene und im Turm der Kirche zu Schönhausen beigesetzte Louise Wilhelmine von Bismarck, war eine geborene Menken. Sie war in höfischer Umgebung aufgewachsen und Spiel- und Jugendgefährtin der Prinzen Friedrich Wilhelm und Wilhelm, die als Brüder nacheinander Könige werden sollten. Vielleicht war es auch diese Erinnerung, die Wilhelm beim legendären Spaziergang durch den Park seines Sommerschlosses auf dem Babelsberg in Potsdam, der der Ernennung zum Ministerpräsidenten und Außenminister voranging, zu Bismarck Vertrauen fassen ließ, als dieser ihn seiner Vasallentreue versicherte. „In dieser Lage werde ich, lieber mit dem König untergehen, als Eure Majestät im Kampfe mit der Parlamentsherrschaft im Stiche lassen.“ So sprach Bismarck zum König.

Es begann mit diesem Tage ein beispielloser Aufstieg Preußens und Deutschlands, und auch wenn Bismarck sich an seinem König noch oft geärgert hat, das in ihn gesetzte Vertrauen enttäuschte er nie. Durch drei außerordentlich klug und maßvoll geführte Kriege ebnete Bismarck den Weg zur preußischen Vorherrschaft in Deutschland und zur Deutschen Einheit. 1864 besiegten Österreich und Preußen noch gemeinsam Dänemark und sicherten damit die Zugehörigkeit Schleswig-Holsteins zu Deutschland. Im deutsch-deutschen Bruderkrieg wurde Österreich 1866 aus dem Deutschen Bund herausgedrängt und ein Norddeutscher Bund unter Preußens Führung geschaffen. 1870/71 wehrten sich die verbündeten deutschen Staaten dann erfolgreich gegen einen französischen Angriff. Nun stand auch Frankreich mit seinem Vormachtstreben der deutschen Einigung nicht mehr im Wege.

Mit dem Frankfurter Frieden war eine neue europäische Ordnung geschaffen. Ihre Mitte bildete das neue Deutsche Reich, dessen Mission es nach Bismarcks Willen war, den Frieden zu wahren. Als Kanzler des Reiches leitete er noch einmal beinahe 20 Jahre eine Politik, die um Vertrauen und Verlässlichkeit rang, die sich selbst Mäßigung und Ruhe auferlegte, und die auch im Begriff stand, die gewaltigen sozialen Herausforderungen, die sich aus der Industrialisierung  und Urbanisierung der Gesellschaft entwickelten, zu beherrschen. Die Renten-, Unfall- und Krankenversicherungen als Fundament des Sozialstaates bis heute gehören zu dem Spätwerk des Mannes, der durch seine Verdienste bis zum Fürsten aufgestiegen war. Alle diese Gesetze waren nicht nur gegen die Stimmen, sondern auch gegen den energischen Widerstand der Sozialdemokraten durchgesetzt worden. Sie waren damals noch der Überzeugung, dass erst auf den Trümmern der alten Gesellschaft das Gute wachsen könnte. Vor diesem Hintergrund erscheinen sogar die Sozialistengesetze, mit denen Bismarck seit 1878 den Machtzuwachs der SPD bremsen wollte, zumindest in einem etwas anderen Lichte.

Als der Kanzler im März 1890 alle Ämter räumen musste, hatte er über beinahe 28 Jahre die preußische und deutsche Politik verantwortet und damit länger als alle, die nach ihm gekommen waren. Merkwürdigerweise wurden es auch 28 Jahre, in denen der Babelsberger Park ein abgeriegelter Ort war, von dem man auf die Glienicker Brücke herabschaute, die sich zu einem Symbol der Teilung Europas gewandelt hatte.
Thomas Roloff

Blick vom Schloßpark Potsdam-Babelsberg zur Glienicker Brücke

Beiläufiges


Nur eine kleine Begebenheit am Rande. Die Meise hatte sich heute Morgen auf dem Dachboden verflogen und wurde von mir dort eingefangen, um anschließend freigelassen zu werden, nicht ohne daß sie vorher noch für ein Photo posieren mußte. Von der Freilassung gibt es kein Photo, dafür war sie zu schnell fort.

Und sollte heute sonst noch etwas Bemerkenswertes geschehen, werde ich das nachtragen.



Nachtrag



Ob bemerkenswert, nun ja. Jedenfalls war es sinnfällig, wie etwas irgendwie Zufälliges, z. B. das Wetter, den Charakter eines Ereignisses völlig verändern kann. Es hätte ein lauer Spätsommerabend werden können, voll von Musik und gelöster Stimmung, so aber wurden es gefühlte – 20 °C und die, nicht einmal vorhandenen, langen Unterhosen wurden spürbar vermißt. Den Instrumenten und ihren Benutzern machten die Umstände auch zu schaffen, offensichtlich, aber sie blieben tapfer, die Musiker, es war einfach nicht fair.

Das Deutsche Filmorchester aus Babelsberg spielte auf einem der zugigsten Marktplätze Deutschlands auf, von anderem zu schweigen. Aus Patriotismus hatte ich mich in die Innenstadt gekämpft, aber immerhin hatten Sturm und Regen irgendwann nachgelassen, es war nur noch kalt. Sie brachten wirklich eine Menge von dem, was einem an populären Soundtracks so in den Sinn kommt. Nichts von dem, was nachfolgend erscheinen wird, das fand ich einfach, sagen wir, skurril. Ach so, vielleicht ist alles auch nur eine Frage des Alters und wir werden wehleidig, siehe - das vor - letzte Bild.








Freitag, 21. September 2012

Über Tacitus vermutlich

Biennale di Venezia, deutscher Pavillon

Der Rezensent der Welt beginnt seine Ausführungen zu diesem Buch (Christopher B. Krebs: Ein gefährliches Buch. Die „Germania“ des Tacitus und die Erfindung der Deutschen) mit einer bemerkenswerten Anekdote:

Der sogenannte Konzeptkünstler Hans Haacke ließ 1993 auf der Kunstbiennale in Venedig an die Apsis des deutschen Pavillons „Germania“ schreiben. Nur zum nachfolgenden Hintergrund, der Pavillon wurde zwar bereits vor dem Dritten Reich errichtet, aber in dieser Zeit umgebaut. Um sich von dem Ort zu distanzieren, zertrümmerte Haacke außerdem den Marmorfußboden des Pavillons, „als sei ein barbarischer Akt die passende Antwort auf die Barbarei der Vergangenheit“. In einer symbolischen Handlung habe Haacke so die Metropole Germania vernichten wollen, die nie gebaut wurde.

Nun ist damit eigentlich schon hinreichend viel zu dem erwähnten Buch gesagt, und einiges darüber hinaus. Es ist dieses Heraus-Sezieren von Traditionslinien, als ob man den Boden von störendem Wurzelwerk befreien müßte, indem man sich immer tiefer in diesen hineingräbt, diese Geschichtsgärtnerei hat etwas von einer umgedrehten „Blut und Boden“ - Besessenheit zum Zwecke der Rückwärtsauslöschung des Drittes Reiches. Ein typisches Wunderwerk von bundesdeutschem Geschichts-Revisionismus also (auch wenn der Autor inzwischen in den USA lebt), wie er uns nun seit vielen Jahrzehnten konzertiert unterhält.

Friedrich August von Kaulbach, Germania

Die Germania des Tacitus gehört zu den Grund-Texten deutscher Identität. Wir haben uns also wirklich schon sehr weit zurückgearbeitet. Aber vielleicht war es auch so, erst hatten wir einen griffig provozierenden aufmerksamkeitsfördernden Titel (Glückwunsch, hat funktioniert), dann eine üblich obskure Grundthese, und darauf folgte sogar einiges an seriös aufbereitetem Material. Um nochmals den oben erwähnten Rezensenten zu zitieren: „Krebs' Buch ist reichhaltiger als seine zugespitzte, auf Sensation spekulierende Hauptthese.“ Das ist nicht ganz falsch (der Perlentaucher verweist auf 2 andere Stimmen, die dies unterschiedlich ähnlich sehen). Übrigens findet man zu dem häufig zitierten Kaulbach – Gemälde hier einige Erläuterungen.

Bekanntlich gibt es zwei Haupttendenzen in der Bewertung der Schrift des Tacitus. Die eine lautet grob gefaßt so, der Autor, der in einem eher zwiespätigen Verhältnis zu seiner Zeit stand, habe derselben gewissermaßen einen Spiegel vorgehalten. Sittenstrenge, Tapferkeit, „virtus“ habe er seinen Römern über den Umweg einer vermeintlichen Beschreibung der Germanen, von denen er weder viel wußte, noch daß sie ihn tatsächlich interessiert hätten, so abfordern wollen.

Die andere Tendenz räumt dies als Nebenabsicht ein, unterstellt aber Tacitus, daß er dabei nicht dahinfabuliert habe, sondern zum einen eben die Germanen wählte, weil sie sich für seine Intentionen anboten, zum anderen er sorgfältig über sie zusammengetragen habe, was ihm zugänglich war.

Es fällt nicht schwer zu vermuten, was Herrn Krebs vorschwebt, bspw. zitiert er zustimmend: „Bei diesen Charakterisierungen handelte es sich um 'Wandermotive', die Tacitus den Germanen anscheinend deshalb zuschrieb, weil sie zu der Vorstellung passten, die sich die Römer von einem barbarischen Volk machten.“ Die „Fiktion eines Römers“ also.

Otto Albert Koch: Varusschlacht

Nun lassen wir Krebs kurz beiseite und werfen einen Blick in die „Erfindungen“ (den Text findet man z. B. an diesem Ort, original und ins Deutsche übersetzt, mit Anmerkungen, sehr empfehlenswert übrigens):

„Ich selbst trete deren Meinung bei, die glauben, dass die Völkerschaften Germaniens, ohne je durch eheliche Verbindungen mit anderen Stämmen fremdartige Bestandteile in sich aufgenommen zu haben, ein eigenständiges, reines, nur sich selbst ähnliches Volk geworden sind. Daher ist auch die Körperbeschaffenheit trotz der großen Menschenzahl bei allen die gleiche: blaue Augen mit wildem Ausdruck, rötliches Haar, hochgewachsene und nur für den Angriff starke Leiber; für Mühsal und Arbeiten haben sie nicht in dem selben Maß Ausdauer, und am wenigsten ertragen sie Durst und Hitze. An Kälte und Hunger haben sie sich infolge Klima oder Boden gewöhnt.“

„Steht man in der Schlacht, ist es eine Schande für den Fürsten, sich an Tapferkeit übertreffen zu lassen. , eine Schande für das Gefolge, es an Tapferkeit dem Fürsten nicht gleich zu tun; vollends aber bringt es Ehrlosigkeit und Vorwürfe für das ganze Leben, seinen Fürsten überlebend aus der Schlacht zurück zu kommen. Ihn zu verteidigen, zu schützern, auch die eigenen tapferen Leistungen ihm zum Ruhm anzurechnen, ist die höchste Eidespflicht. Die Fürsten kämpfen für den Sieg, das Gefolge für den Fürsten. Wenn das Gemeinwesen, in dem sie geboren sind, in langem Frieden und Untätigkeit erlahmt ist, suchen sehr viele adlige Jünglinge von sich aus die Stämme auf, die im Augenblick einen Krieg führen, weil einerseits die Ruhe dem Volk unwillkommen ist und sie dann inmitten von Gefahren leichter zu Ruhm gelangen, sich ein großes Gefolge auch nur durch Gewalt und Krieg erhalten lässt. Sie erwarten nämlich von der Freigebigkeit ihres Fürsten ihr Streitross, ihre blutgetränkte, siegegewohnte Frame; denn Gastmähler und zwar schlichter, abe reichlicher Unterhalt zählen als Sold. Die Mittel zum Schenken gewähren Krieg und Raub. Das Land zu pflügen oder geduldig auf den Ertrag des Jahres zu warten, wird man sie nicht so leicht überreden, als die Feinde herauszufordern und sich Wunden zu holen. Als Faulheit, vielmehr Schlaffheit kommt es ihnen vor, mit Schweiß zu erwerben, was man mit Blut gewinnen kann.“

„Sooft sie nicht in den Krieg ziehen, bringen sie weniger Zeit mit Jagen zu, als mit Müßiggang: sie geben sich dem Schlaf hin und dem Essen. Gerade die Tapfersten und Kriegstüchtigsten sind völlig unbeschäftigt, indem sie die Sorge für Haus, Herd und Feld den Frauen übertragen haben, so wie den Greisen und allen Schwachen aus dem Gesinde. Sie selbst faulenzen nach dem seltsamen Widerspruch in ihrem Wesen, dass die gleichen Menschen in solcher Weise die Untätigkeit lieben und die Ruhe hassen.“

„Gleichwohl sind die Ehen dort streng und keine Seite ihrer Sitten möchte man unbedingter loben. Denn sie sind fast die einzigen unter den unzivilisierten Völkern, die sich mit einer Frau begnügen, ganz wenige ausgenommen, die sich nicht aus Sinnlichkeit, sondern ihres Adels wegen mit sehr vielen Heiratsanträgen umworben sehen.“ 

„Damit die Frau mutige Taten nicht außerhalb ihres Gedankenkreises und sich den Wechselfällen des Krieges enthoben glaubt, wird sie gleich durch die Eingangsfeier des beginnenden Ehestandes daran erinnert, dass sie als Gefährtin der Mühsale und Gefahren eintrete, um im Frieden wie auf dem Schlachtfeld Schicksal und Wagnisse zu teilen.“

„So leben sie denn in den Schranken der Sittsamkeit, durch keine lüsternen Schauspiele, keine verführerischen Gelage verdorben... Fälle von Ehebruch sind bei dem so zahlreichen Volk eine große Seltenheit. Seine Bestrafung erfolgt auf der Stelle und ist dem Gatten überlassen. Mit abgeschnittenen Haaren, entkleidet, stößt sie der Gatte in Gegenwart der Verwandten aus dem Haus und treibt sie mit Schlägen durch das Dorf. Denn die Preisgabe der Keuschheit findet keine Nachsicht: nicht durch Schönheit, nicht durch Jugend, nicht durch Reichtum fände sie einen Mann. Denn niemand lacht da über die Laster und verführen und sich verführen lassen heißt nicht Zeitgeist.“

„Die Zahl seiner Kinder fest zu begrenzen und eines der nachgeborenen zu töten gilt als schandbar; und mehr vermögen dort die guten Sitten als anderswo gute Gesetze.“

„Gleich nach dem Schlaf, den sie meist bis in den Tag hinein ausdehnen, waschen sie sich gewöhnlich warm, da bei ihnen die meiste Zeit über Winter herrscht. Nach dem Waschen nehmen sie Speise zu sich. Jeder hat seinen besonderen Sitz und seinen eigenen Tisch. Dann begeben sie sich an die Geschäfte und nicht weniger häufig zu Gelagen, und zwar bewaffnet. Tag und Nacht ununterbrochen fortzuzechen ist für keinen eine Schande. Bei den - wie unter Trunkenen natürlich - häufig vorkommenden Streitigkeiten geht es selten nur mit Schimpfreden ab, häufiger mit Totschlag und Wunden. Aber auch über die gegenseitige Aussöhnung von Feinden und den Abschluss von ehelichen Verbindungen und die Wahl von Fürsten, endlich über Frieden und Krieg beraten sie sich sehr häufig bei Gelagen, gleich als meinten sie, dass zu keiner Zeit der Sinn so sehr für einfache Gedanken erschlossen sei oder sich für große erwärme. Ohne Verschmitztheit und List öffnet das Volk in der Ungebundenheit eines heiteren Anlasses noch seine innersten Gedanken. So offen und unverhüllt ist aller Denkweise. Am folgend Tag wird von neuem verhandelt und beiderlei Zeiten widerfährt so ihr Recht: sie beraten, wenn es ihnen nicht gelingt, sich zu verstellen, und beschließen, wenn sie nicht irren können.“

„Als Getränk dient ihnen eine Flüssigkeit, die aus Gerste oder Weizen ganz ähnlich dem Wein zusammengebraut ist. Die nächsten Uferanwohner erwerben im Handel auch Wein. Die Speisen sind einfach: wilde Baumfrüchte, frisches Wildbret oder Käse aus Milch. Ohne besondere Zubereitung, ohne Gaumenkitzel vertreiben sie ihren Hunger. Dem Durst gegenüber herrscht nicht die selbe Mäßigung. Leistet man ihrer Trinklust Vorschub und verschafft ihnen so viel, wie sie begehren, wird man sie gewiss nicht weniger leicht durch ihre Laster als mit Waffen besiegen.“

„Von Schauspielen gibt es nur eine einzige Art, die bei jeder Zusammenkunft wiederkehrt. Nackte Jünglinge, denen dies eine Kurzweil ist, werfen sich tanzend zwischen Schwerter und drohende Framen. Die Übung hat Fertigkeit erzeugt, die Fertigkeit ansprechende Form; jedoch nicht zum Erwerb oder gegen Bezahlung, obwohl der kühne Scherz seinen Lohn an dem Vergnügen der Zuschauer hat. Das Würfelspiel treiben sie merkwürdiger Weise nüchtern unter den ernsthaften Dingen, im Gewinnen und Verlieren so unbeherrscht, dass sie, wenn sie nichts mehr haben, im letzten Wurf ihre Freiheit und Person einsetzen. Der Besiegte begibt sich freiwillig in die Knechtschaft; wenn auch jugendlicher, wenn auch stärker, lässt er sich binden und verkaufen. So weit geht ihre Unnachgiebigkeit in einer verkehrten Sache: sie selber heißen es Ehrenpflicht.“ 

Ary Scheffer, Schlacht von Zülpich 496 n. Chr.

Das muß genügen, und mit der Kürze ist es nichts geworden. Aber zum einen liest es sich wirklich unterhaltsam. Und die langen Zitate lassen schnell auf zweierlei stoßen: Das Bild des Tacitus von den Germanen ist durchaus nicht so einseitig idealisierend, wie man erwarten müßte, wenn gewisse oben erwähnte Meinungen zuträfen: Sie sind treu, aufrichtig, sittenstreng, kampfesmutig, aber auch arbeitsscheu und ohne Lebensart, trunk- und spielsüchtig z.B. Zum anderen gibt es ein Prinzip, mit dem man die Glaubhaftigkeit von Texten prüfen kann, die „Unerfindlichkeit“. Es wurde entwickelt, als man die Bibel der Textkritik wissenschaftlich unterwarf. Grob gesagt, wenn man einer Vorstellung oder einer Aussage begegnet, die nicht durch vorhergehende Bezüge zu erwarten sind, tatsächlich unbekannt bzw. neuartig sind, spricht erst einmal viel für deren Authentizität.

Aber vielleicht hat Herr Krebs eine andere „Germania“ gelesen. Den Hauptteil seines Buches macht ohnehin eine Darstellung der Wirkungsgeschichte des Werks des Tacitus' aus; wie sich im Mittelalter vereinzelt Spuren finden und schließlich im 15. Jahrhundert ein päpstlicher Abgesandter die einzig übriggebliebene Abschrift aus der Abtei Hersfeld nach Italien verbrachte; wie deutsche Humanisten und barocke Dichter in der „Germania“ die Gündungsurkunde ihrer Nation erkannten bis zu Herder, der den Nationalcharakter der Deutschen wiederfindet:

„Kein größerer Schade kann einer Nation zugefüget werden, als wenn man ihr den Nationalcharakter, die Eigenheit ihres Geistes und ihrer Sprache raubt.“
„Nun suche in Deutschland den Charakter der Nation, den ihnen eignen Ton der Denkart, die wahre Laune ihrer Sprache: wo sind sie? Lies Tacitus, da findest du ihren Charakter.“

aus "Die Gartenlaube" (Denkmal des Arminius)

Mit dem Eintritt ins 19. Jahrhundert wird das Buch seinem reißerischen Titel doch noch mehr und mehr gerecht und verliert seinen durchaus interessanten Charakter, und bald landen wir dann auch bei der Reinheit des deutschen Bluts und schließlich im Dritten Reich. Nationalgefühl und Rassenwahn werden in einen Topf geworfen und kräftig verrührt. Und letztlich wird der altrömische Autor irgendwie mitschuldig:

„In ähnlicher Weise war das, was die Nürnberger Rassengesetze in Stein meißelten, letztlich eine Bearbeitung des frei flottierenden ethnografischen Klischees, das der römische Historiker aus griechischen Quellen übernommen und in Kapitel 4 auf die Germanen angewendet hatte.“

Sic!

So könne also aus der "Germania" ein Bild des blond-hellhäutigen, kräftig-hochgewachsenen Germanen herausgelesen werden, dessen Tapferkeit, Tugend, Reinrassigkeit, Einfachheit und Treue die deutschen Nachkommen nunmehr nachzueifern suchten. Was neben der moralischen Verwerflichkeit auch noch historisch falsch sei, denn Germanen und Deutsche hätten keinerlei Kontinuität aufeinander. Nun der Reiz des eben beschriebenen Klischees hat sicherlich zum Glück seine Zeit weit hinter sich, und ich mag weiter auf Einzelheiten auch gar nicht mehr eingehen. Aber daß dort jegliche Kontinuität bestritten wird, ist für einen Altphilologen, der doch wohl irgendwie auch Sprachwissenschaftler sein möchte, zumindest erstaunlich.

Die Nationalsozialisten haben vieles mißbraucht, und obwohl behauptet wird, erst seine Leser machten Tacitus' Werk zum gefährlichen Buch, unterschwellig drückt sich doch der Eindruck auf, die mißbrauchte Sache sei diesmal auch ein wenig mitschuldig gewesen. Und am besten würden die in einer gewissen sprachlich bestimmten Region lebenden Personen, vulgo Deutsche, auf alle Anstalten verzichten, sich eine nationale Identität zurechtzulegen.

Was sollen wir also von der „Germania“ des Tacitus und der Erfindung der Deutschen halten, diesem Werk der Geschichtsgärtnerei, wie ich es eingangs nannte. Wir lernen sicher einiges über die Schicksalsfälle eines alten Buches, mehr noch aber über die Obsessionen von jemandem, der dieses Buch in die Hand nahm, aber ob wir letzteres wirklich wissen müssen.
nachgetragen am 28. September

Donnerstag, 20. September 2012

LOTR &



„Enden? Nein, hier endet die Reise nicht. Der Tod ist nur ein weiterer Weg den wir alle gehen müssen. Der graue Regenvorhang dieser Welt zieht sich zurück und alles verwandelt sich in silbernes Glas. Und dann siehst du es.
Was? Gandalf? Was sehe ich?
Weiße Strände, und dann... ein fernes grünes Land unter einer rasch aufgehenden Sonne.
Dann ist es nicht schlimm?
Nein, nein, ist es nicht.“

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"Gandalf the White: End? No, the journey doesn't end here. Death is just another path. One that we all must take. The grey rain-curtain of this world rolls back, and all turns to silver glass... then you see it!
Pippin Took: What? Gandalf? See what?
Gandalf the White: White shores... and beyond. A far green country, under a swift sunrise.
Pippin Took: Well, that isn't so bad.
Gandalf the White: No... no, it isn't."

Amon Sûl (Weathertop), Eriador, Middle-earth
MaximKartashev

Gondor aus dem „Herrn der Ringe“ ist ein Wunschort vieler, kein Fluchtort, denn wie jeder Leser weiß, ist Gondor das Gegenteil eines idyllischen Orts, es begegnen Grausamkeit, Verrat, Verzweiflung, all die üblichen menschlichen Dinge, und über allem der Schatten des Untergangs. Aber man taucht ein in das Gefühl, wie die Welt wäre, wenn sie richtig wäre, und die Dinge so, wie die Dinge sein sollten, und man nicht in einer gefälschten Wirklichkeit leben müßte. So wird die Fiktion zur wirklicheren Wirklichkeit, etwas, das so vertraut wird, daß die Namen, die jemand diesen Bildern hier gegeben hat, ganz selbstverständlich erscheinen.

Ich habe mich eben selbst zitiert. Das ist kaum originell, aber durch einen Zufall rutschte ich wieder in den letzten Teil der Film-Trilogie und dann auch wieder in das Buch, mich erinnernd, wie ich fiebrig lesend, eine Karte an die Wand geheftet... Zurück folgend der Erinnerung rührt all dies jedoch immer noch verwirrend – aufgeregte Gedanken und Vorstellungen empor, seltsam.

Mittwoch, 19. September 2012