Samstag, 9. Mai 2009

Von frommen Reichsgrafen, Organisten und unserem kolonialen Unbewußten



Gouverneur Theodor Leutwein
(©) Archiv- und Museumsstiftung Wuppertal
hier gefunden

Wir sind wieder mitten in der Geschichte, genauer gesagt kann man sich im heutigen Geschichtskalender gar nicht vor (jedenfalls für mich) interessanten Namen retten. Über den Großen Kurfürsten habe ich glücklicherweise vor kurzem wenigstens ein paar Sätze verloren, so daß ich mich diesbezüglich einfach selbst dispensiere, bleiben immer noch mindestens (Anton von Werner habe ich mir sozusagen gerade „aus der Brust gerissen“, und Schiller, das ist eine kompliziertere Geschichte, ich weiß, der Todestag Schillers, ich bin ein Barbar): Theodor Leutwein, Dietrich Buxtehude und Nikolaus Ludwig Reichsgraf von Zinzendorf.

Theodor Leutwein war der erste offizielle Gouverneur von Deutsch-Südwestafrika, einer eher bedeutenderen deutschen Kolonie oder nach dem damaligen Sprachgebrauch eines „deutschen Schutzgebietes“. Generell war es ja so, daß das Deutsche Reich eher zu Gebieten als Kolonien fand, die andere, aus welchen Gründen immer, nicht haben wollten, es kam einfach etwas zu spät auf diese Bühne. Die Gründe sind bekannt. Unser Vaterland zieht es vor, bedeutend zu sein, zu einem peinlichen Restbild seiner selbst zu schrumpfen, ganz zu zerfallen, um sich dann wieder zu vereinen etc. etc. In welcher Phase wir gerade sind, diese Frage wollen wir höflich übergehen, jedenfalls für Kolonien war es etwas zu spät.

Bismarck, der dies klar sah, versprach sich keinen Nutzwert und war strikt dagegen, aber irgendwie hatten eifrige Kaufleute und Wagemutige dann doch Verträge mit Einheimischen abgeschlossen und brauchten bald den Schutz des Reiches. Irgendwann hatten wir sie dann, die Kolonie, und Theodor Leutwein war jemand, der sich offenbar Gedanken darüber gemacht hatte, wie man ein solch großes Gebiet mit überschaubaren Kräften sichern und halten könne. Also Allianzen mit den Einheimischen, ein gewisser Interessenausgleich…

Als dann 1904 der überraschende Aufstand der Herero sogleich 123 Menschen das Leben nahm, war für diese Art von Konzilianz kein Raum mehr und die Dinge nahmen einen eher unerfreulichen Verlauf. Ich will mich hierhinein gar nicht weiter vertiefen (ich habe gerade noch einen anscheinend interessanten Link gefunden, ohne daß ich etwas zur restlichen Website sagen kann - Nachtrag: eine wesentlich spannendere Sammlung zum Thema findet sich hier), nur, um den Herrn Leutwein an dieser Stelle zu verlassen, die Bewertung der Kolonialgeschichte ist ein Thema für sich, aber es ist schon kurios, wie die Werte über die Zeiten hin und herpendeln und pendeln &.

Vor 100 Jahren spürte man, ich denke, daß über das nüchterne Kalkül hinaus dies schon so auch empfunden wurde, ein Bedürfnis, Glauben und Zivilisation in die ganze Welt zu tragen. Vom zivilisatorischen Sendungsauftrag von vor 100 Jahren verfiel man dann in der jüngeren Gegenwart in das komplette Gegenteil, in eine Art hysterischer Schein-Empathie mit den Kolonisierten. In einem Buch namens „Deutsche Kolonien“ von einem Uwe Timm findet sich etwa folgende Bemerkung, und ich zitiere ausführlicher, weil es derart bezeichnend ist:

„Daß der Kolonisator in seiner schier grenzenlosen zivilisatorischen Überlegenheit sich durch die andere, ‚primitive‘ Lebensweise negiert sah. Diese andere, notwendig unverstandene Lebensform ist ihm möglicherweise so vernichtenswert, weil darin seine eigenen hochgeschätzten Tugenden als Untugenden zurückgespiegelt werden, weil er die Eigenschaften, die ihm seine Überlegenheit sichern, mit Verlusten erkaufen mußte. Er bezahlte Fleiß mit Muße, Tapferkeit mit Lebensfreude, Disziplin mit Spontaneität und die vielgepriesene Ordnungsliebe mit Phantasie. Das, was er beständig verdrängen muß, macht ihm die andere Lebensform so hassenswert. Vielleicht tötet er mit dieser 'kulturellen' Genugtuung, weil er in sich selbst etwas Ungelebtes ganz töten muß, eine andere Art zu leben, eine ‚fremde‘ Welt.“

Nun ja, das sagt sicher eine Menge, am wenigstens vermutlich erhellt es das, was heute von den Nachwirkungen dieser Kolonialgeschichte zu halten wäre. Aber wir sind gerade viel zu geschwätzig und Graf Zinzendorf wartet.

Für einen evangelischen Christen ist es völlig natürlich, daß jemand in den Losungen liest, ein ausgelostes Bibelwort für jeden Tag, manche sagen, eine Art christliches Horoskop, wie auch immer, was es Verdienstvolles über Nikolaus Ludwig Reichsgraf von Zinzendorf zu lesen gibt, mag man hier weiterverfolgen, von ihm stammen diese Losungen.

Mir ist nur etwas anderes in kurioser Erinnerung. Vor Jahren blätterte ich einmal in einem Personenlexikon des 18. Jahrhunderts, und da die Zinzendorfs ein bedeutendes Geschlecht waren, kam die Familie des o.g. natürlich vor, genauer ein Bruder, ich kann mich an keinerlei Details der ausführlichen Aufzählungen und Würdigungen erinnern, nur über eben diesen Nikolaus hieß es sinngemäß, es sei nichts Bemerkenswertes bekannt. Mir ist selten so schlaglichtartig deutlich geworden, wie sehr das zu wechseln pflegt, was man schließlich für überlieferungswürdig hält.

Und Dieterich Buxtehude schließlich, leider ist dieser Post schon so monströs lang geworden, daß uns an diesem Ort für diesen grandiosen Musiker nur eins noch verbleibt, seine Musik.

2 Kommentare:

naturgesetz hat gesagt…

The instrumental interpolations between the lines that are sung clearly foreshadow the work of his great admirer, J. S. Bach.

MartininBroda hat gesagt…

It’s always a great pleasure when well-educated reader visit my poor little blog.
:-)
Thank you for comment.