Freitag, 22. April 2011
Karfreitag
Es ist eine merkwürdige Erfahrung, ein Buch synchron zu den Ereignissen dieser Karwoche zu lesen, wie es mir gerade mit dem schon mehrfach erwähnten Buch Papst Benedikts ergeht. Und es ist nicht ganz einfach, daraus dann einen Blogbeitrag zu machen. Vielleicht gelingt es morgen, etwas zu Ende zu bringen. Darum bin ich dankbar, daß mir Herr Roloff seine Predigt schickte, die er heute in dem kleinen altmärkischen Orte Wulkau gehalten hat. Und wo der Karfreitag sich gerade dem Ende zuneigt, nachfolgend also die Predigt:
Lk 23, 33-49
Gnade sei mit euch und Friede von Gott dem Vater und unserem Herren Jesus Christus. Amen
Liebe Gemeinde,
wir haben keine Vorstellung mehr, von welcher Wichtigkeit dem Volk Israel ihr Tempel gewesen ist. Nehmen Sie St. Peter in Rom, die Grabeskirche in Jerusalem oder einen der großen Wallfahrtsorte, die von Millionen Pilgern im Jahr besucht werden und steigern die Bedeutung um ein Vielfaches, und sie werden dennoch nicht ermessen, was der Tempel in Jerusalem dem auserwählten Volk bedeutet hat. Salomo hatte ihn ungefähr 962 vor Christus errichten lassen und prächtig geschmückt. Josia hatte 622 den gesamten Kult auf diesen Ort zentralisiert, und als das Haus Gottes 587 zerstört wurde, da waren das Land und das Volk von nicht enden wollender Trauer erfüllt.
Die Bindung selbst an den zerstörten Tempel war dann aber dennoch stark genug, um auch das zum Teil im Exil lebende Volk nicht untergehen zu lassen. Die unbändige Sehnsucht nach dem Tempel richtete es wieder auf. Nachdem der Perserkönig Cyrus das Exil beendete und Rückkehr ermöglichte, begann das schwere Ringen um den Tempel. Propheten und Politiker haben für ihn gestritten und haben mit dem Neubau dem Volk wieder eine Mitte gegeben. Einen ganz schwachen Abglanz davon kann man vielleicht erahnen, wenn man sich die Wiederbringung der Dresdner Frauenkirche vergegenwärtigt.
Am 1. April 515 wurde der neue Tempel geweiht. Herodes der Große, derjenige, den wir aus der Weihnachtsgeschichte kennen, hat den Tempel nochmals prächtig überbaut und geschmückt und somit das Haus geschaffen, das auch Christus kannte und besuchte.
Ein Vorhang trennte im Tempel das Allerheiligste ab. Ursprünglich befand sich hinter dem Vorhang die Lade, in der wiederum die Gesetzestafeln vom Sinai und etwas vom Manna aufgehoben wurden. In der Lade sahen die Israeliten so etwas wie den Fußschemel Gottes. Also nicht etwa den Thron, sondern nur den Schemel am Thron, auf dem man seine Füße absetzen konnte.
Das Volk Gottes war also immer in wirklicher Weise eine Versammlung zu Füßen des Ewigen.
Ein einziges Mal im Jahr ging der Hohepriester allein hinter den Vorhang, um das große Versöhnungsopfer zu vollbringen – das geschah am Yom Kippur. Allein und abgeschirmt tritt der Hohepriester hinter den Vorhang. Besprengt die Lade mit Blut und sprach dreimal den Gottesnamen aus, den sonst auszusprechen strengstens verboten war – Jahwe. Dann wurde über zwei Böcken das Los geworfen, so dass auf den einen die Sünden des Volkes gelegt wurden, und er in die Wüste geschickt wurde. Der sogenannte Sündenbock machte das Volk frei, weil er die Sünde auf sich nahm und in die Ferne trug. Das andere Tier wurde geopfert.
Das alles vollzog sich im Verborgenen, hinter dem Vorhang.
Dieser Vorhang nun ist es, der im Augenblick des Sterbens unseres Herrn zerreißt und zwar von obenan bis untenaus.
Denn im Augenblick des Sterbens unseres Erlösers Jesus Christus ist alles was sich bisher im Verborgenen abspielte offenbar geworden. Im Augenblick des Todes unseres Herrn wurde alles, was im Ritual gefeiert, geahnt und gehofft wurde unumstößliche Wirklichkeit.
Nackt, zerschunden und mit einer Dornenkrone gequält, so hängt Christus am Kreuz. Zum Schemel seiner Füße ist das Volk versammelt und wird mit seinem Blut besprengt. Er ist das wahre Lamm, das geschlachtet wird. Er ist es, der die Sünde der Welt auf sich nimmt. Was im Verborgenen war ist nun vor aller Welt offenbar geworden. Alles was zu hoffen gewesen ist in Tausenden von Jahren hat sich erfüllt. Wir bekommen von dem Brot zu essen, das er selbst ist, und trinken sein Blut.
Unter uns ist mehr als es der Tempel jemals war, von den Kirchen ganz zu schweigen.
Der unaussprechliche Name wird bereits durch das Schild über dem Kreuz gleichsam mit dem Schmerz hinausgeschrien in alle Welt: Jesus von Nazareth König der Juden.
Und als Pontius Pilatus von den Juden bedrängt wird, seine Proklamation eines Königs, die den Juden eine Provokation sein musste, abzuschwächen, da verweigert er das trotzig und beharrt: „Was ich geschrieben habe, das habe ich geschrieben.“
Es lässt sich an diesen Dingen ganz besonders ermessen, dass die Geschichte keine zufällige Aufeinanderfolge von mehr oder weniger sinnvollen Ereignissen ist, sondern die Erfüllung dessen, was vor aller Zeit verheißen wurde.
Die Erfüllung des Verheißenen bringt allerdings nicht das, was nach allem menschlichen Ermessen zu erwarten gewesen wäre. Das Kreuz ist wirklich nicht, was man für den Thron eines Königs halten könnte, und die qualvolle Hinrichtung erwartet man nicht, wenn davon die Rede ist, dass jemand erhöht werden soll. Auch ist das Leiden keine wirklich attraktive Form der Herrschaftsausübung.
Gott erfüllt aber auch nicht unsere Erwartungen; Gott erfüllt seine Verheißungen. Die Kunde von der Erfüllung dieser Verheißungen hat dann im Verlaufe von über einem Jahrtausend seinen Weg bis in unsere Gegend gefunden und ist seit dem auch hier in Wulkau bewahrt worden. Die Kunde vom Herrn und der Kreuzigung wurde hier bewahrt, und ich bin ganz sicher, auch wir hier sind nicht die letzte Generation, die diese Nachricht weiter trägt. Von keiner anderen auch noch so spektakulär präsentierten Nachricht unserer Tage würde ich mich getrauen zu versprechen, dass ihre Aktualität auch nur in die nächste Woche reicht.
Liebe Gemeinde,
ist das nicht ein großer Trost? Es beunruhigt mich aber auch zunehmend, dass noch immer so viele Menschen unter Aufwendung von so großer Lebensenergie und Zeit Dingen nachjagen, die immer schnelllebiger, fadenscheiniger, sinnloser und armseliger werden.
Die materielle auf nur noch auf Genuss und Unterhaltung gerichtete Welt scheint mir manches Mal einem Feuerwerk zu gleichen, das ungeordnet abbrennt und zugegebener Maßen sehr effektvoll ist. Immer schneller folgt Attraktion auf Attraktion. Ah und Oh rufen die Zuschauer. Am Ende bleibt nichts als verwehender Rauch, und am Morgen findet man ein paar stinkende Pulverkapseln. Es tut mir leid um die Menschen, die so durchs Leben gejagt werden, und es tut mir noch mehr leid um Menschen, die so durchs Leben gejagt werden wollen, weil sie diesen Lärm und das Licht und das Brennen für Erfolg und Glück und für Schönheit halten, an die sie ihre Gefühle verschwenden wollen, mit denen sie nicht wissen wohin. Dabei fürchten sie eigentlich nur, dass es still werden könnte und dunkel; und dass sie in der Stille und Dunkelheit die Leere heran kriechen fühlen müssen und mit der tiefen Leere ihres Lebens den Tod.
Dabei würden sie in der plötzlichen Stille und Dunkelheit den Stern aufscheinen sehen, den sie schon vergessen hatten, und der wirklich Orientierung zu geben vermag. Gewaltige Gestirne hat Gott an seinen Himmel gesetzt und wir Menschen geben uns so oft mit Irrlichtern ab.
Tut ihr dies nicht!
Mit dem Kreuz seines Sohnes hat Gott seiner Welt ein Zeichen gegeben, das noch gewaltiger ist als alle Gestirne, und das von seiner Liebe zu unserer Welt zeugt. Darum hängt auch ihr eure Liebe nicht an wertlosen Plunder, sondern wendet sie auf den sterbenden Herrn. In der Liebe werden wir ihm gleich, so wie er uns durch sein Sterben ganz gleich wird. In Christus haben sich Gott und Mensch verbunden, und er fügt den menschlichen Willen wieder ganz in den Gottes, von dem sich der Mensch im Ungehorsam getrennt hatte.
Lassen wir darum unser Leben nicht durch die Furcht vor dem Tod regieren, sondern erfüllen es durch die Liebe zu seinem Sterben. Dann sind wir ganz frei und nicht mehr Knechte unserer Angst. Mit unserem Sterben legen wir uns ganz in IHN hinein. So wie Christus die lebendige Erfüllung aller Hoffnungen ist, die sich jemals mit dem Tempel verbunden haben, so sind unserer Glaube und noch mehr unsere Liebe die Antwort auf seinen Tod.
Amen.
Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Amen.
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1 Kommentar:
Thanks for sharing Herr Roloff's sermon. (As I've remarked before, somehow I understand "church German" more readily than everyday language. I suppose it has to do with the more familiar vocabulary, and a context which makes it easier to guess at unfamiliar words.)
"Gott erfüllt aber auch nicht unsere Erwartungen; Gott erfüllt seine Verheißungen," is very strikingly put. The comparison of the things to which so many people are attracted with fireworks was also very good.
I hope it's not too early to wish you and your mother a very happy Easter.
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