Samstag, 23. April 2011

Osternacht

Christus Resurrexit. Ich war letzte Nacht wieder einmal sehr müde und wollte unbedingt Bachs Matthäuspassion zu Ende hören, also hat sie mich in den Schlaf geleitet, und was für eine überirdische Musik. Wenn einem die Bedeutung dieses Tages unklar werden sollte, höre man nur dies, und man ist wieder bei sich, und zugleich welch ein Ausloten der menschlichen Seele.

Die Nachbarn hatten heute sehr mecklenburgisch geflaggt, mit der Fahne des alten Großherzogtums. Ich dachte, ich sollte wenigstens zwei andersgeartete Bilder beibringen. Denn ich denke, es wird Leser geben, die sich unwohl fühlen bei diesem religiösen Übermaß, und das täte mir leid, nicht weil mir meine Überzeugungen unangenehm wären, ich mag es nur nicht, wenn sich ein anderer freundlicher Mensch unwohl fühlt.

Zum Religiösen. Herr Roloff hat wohl gerade diese Ansprache zur Osternacht gehalten, und auch, wenn ich aus eben genannten Gründen darauf verzichten wollte, bringe ich sie nun doch:


Bach - Julia Hamari - Matthäus Passion - Erbarme dich
hier gefunden

Der Friede und die Gnade unseres auferstandenen Herrn sei alle Zeit mit euch!

Liebe Gemeinde,

erst im Jahre 2095 werden wir Ostern wieder so spät feiern wie heute in der Nacht zum 24. April. Ostern ist das Fest der christlichen Kirche, das an den Lauf des Mondes gebunden ist und immer am Sonntag nach dem ersten Frühlingsvollmond gefeiert wird. Dadurch wandert es innerhalb einer bestimmten Spanne durch das Jahr. Es nimmt damit ein wenig von dem auf, was die Natur selbst auszeichnet. In dem einen Jahr wird es schneller grün und warm und in einem anderen müssen wir länger warten. Sehnsuchtsvoll richten wir Menschen oft unseren Blick auf das wieder erwachende Leben. Solange das Leben wieder erwacht, wird auch alles andere wieder gut. Es ist eine tiefe Sehnsucht nach Leben in uns, die das ganz Lebendige erstrebt und die im Jetzt eigentümlicher Weise immer auch eines Ungenügens gewahr wird, und das obgleich wir doch leben. Es ist so, als würde es ein Leben geben, das noch weit über dieses unser Leben hinausreicht.

Als Christen nennen wir das gemeinhin „ewiges Leben“ und unterliegen dann oft dem Irrtum, dass damit ein Leben gemeint wäre, das zeitlich nach unserem jetzigen Leben käme, sich gleichsam auf seine Weise an dieses Leben anschlösse. Aber „ewiges Leben“ ist nicht das Leben, das nach dem Tode kommt, während das Leben jetzt eben vergänglich ist und nicht ewiges Leben wäre.

Wenn wir richtig erfassen wollen, was das ewige Leben ist, dann hilft es uns vielleicht, einem Gedanken nachzugehen, den der gegenwärtige Papst in seinem jüngsten Buch entwickelt hat: ‚Ewiges Leben‘ ist das Leben selbst, das eigentliche Leben, das auch in dieser Zeit gelebt werden kann und dann durch den physischen Tod nicht mehr angefochten wird. Darum geht es: Jetzt schon ‚das Leben‘, das wirkliche Leben zu ergreifen, das durch nichts und niemand mehr zerstört werden kann.“ In diesem Gedanken wird dann auch die Sehnsucht, von der ich anfangs sprach, zu einem wirklichen Kompass und hört auf, eine sentimentale, beschwerliche Gefühlsaufwallung zu sein.

„‘Ich lebe, und ihr werdet leben‘, sagt Jesus beim Abendmahl zu seinen Jüngern (Joh14,19) und zeigt damit noch einmal, dass es für den Jünger Jesu kennzeichnen ist, dass er ‚lebt‘ – dass er also über das bloße Dasein hinaus das eigentliche Leben, nach dem alle auf der Suche sind, gefunden und ergriffen hat… Sie [die Jünger] hatten gefunden, was alle suchen – das Leben selbst, das volle und daher unzerstörbare Leben.“

„Der Christ glaubt nicht vielerlei. Er glaubt letztlich ganz einfach an Gott, daran, dass nur einen einzigen wirklichen Gott gibt. Dieser Gott aber wird ihm zugänglich in seinem Gesandten, Jesus Christus: In der Begegnung mit ihm geschieht jene Erkenntnis Gottes, die zu Gemeinschaft und damit zu ‚Leben‘ wird.“ Der Glaube ist eine ganz bestimmte, nämlich sehr umfassende Form der Erkenntnis. Durch den Glauben und nur durch den Glauben, erkennen wir das Leben. Es spricht uns eine unendlich tiefe Weisheit aus der Tatsache, dass das Alte Testament den intimsten Umgang zwischen Mann und Frau schlicht erkennen nennt.

Es spricht sich darin die Erfahrung aus, dass zwei Menschen in ihrer Gemeinschaft viel mehr werden können, als sie es im Einzelnen sind. Darum auch wird diese Form der Gemeinschaft und diese Erkenntnis, wenn Gott es will, durch neues Leben beschenkt. Das Leben bleibt nicht bei denen, die sich erkennen und lieben, es wird weitergetragen, es wird verschenkt. Nicht umsonst haben Menschen zu allen Zeiten darin eine ihrer tiefsten Gotteserfahrungen gefunden, weil sie im Werden des Lebens etwas von diesem Wesen des Lebens erspüren dürfen.

„‘Ewiges Leben‘ ist also ein Beziehungsereignis. Der Mensch hat es nicht aus sich selbst, für sich allein genommen. Durch die Beziehung zu dem, der selbst das Leben ist, wird auch er ein Lebender.“ Und ich möchte den Satz verstärken, indem ich sage: Nur in der Beziehung zu dem, der selbst das Leben ist, wird der Mensch ein Lebender.

„Der Mensch hat das Leben gefunden, wenn er sich an den anhängt, der selbst das Leben ist. Dann kann vieles an ihm zerstört werden. Der Tod kann ihn aus der Biosphäre wegnehmen, aber das über sie hinausreichende Leben, das wirkliche Leben, das bleibt. In dieses Leben, das Johannes – im Unterschied zum bios – zoe nennt, muss er hineinleben. Die Beziehung zu Gott in Jesus Christus. Sie gibt jenes Leben, das kein Tod zu nehmen vermag.“

Man kann vielleicht nur noch anfügen, dass vom Ursprung der Schöpfung her der Mensch als im Ewigen lebend angelegt ist, Christus hebt das von sich entfremdete, das pervertierte, das kraftlose Leben auf und im heilenden Akt seines Kreuzestodes macht er dem Menschen den Weg frei, sich wieder mit dem ewigen Seinsgrund zu verbinden. (Ironisch gesprochen, wie ein armer Baum, der in einem Kübel vor sich hinkümmerte und ins freie Land gepflanzt, aus dem offenen Grund Kraft und Raum gewinnt.)

Daher kann Ostern nicht von ungefähr auch eine zweite Schöpfung genannt werden, in der erst die alte Schöpfung ganz Vollendung findet. Darum hebt auch diese neue Schöpfung an einem Sonntag an. Das ist es, was sich in dieser Heiligen Nacht ereignet. Der ewige Zug des Volkes Israel aus Ägypten durch das Schilfmeer in die Freiheit, der ewige Zug der Christenheit vor die Altäre unseres Gottes, an denen er sich in Brot und Wein an uns verschenkt, wir ihn in uns aufnehmen und ihm ganz verbunden werden, der ganze Lauf der Schöpfung kommt an sein Ziel – in dieser heiligen Nacht. Sie ist in Wahrheit die Nacht, in der ein Licht zu scheinen beginnt, das nimmermehr verlischt.

Ich wünsche Ihnen allen ein gesegnetes Osterfest. Der Friede des Auferstandenen sei in dieser Nacht und alle Zeit mit Euch.

Amen

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