Donnerstag, 20. Januar 2011
John Ruskin
Als ich kürzlich etwas über einen der Präraffaeliten schrieb, hätte ich, so dachte ich, auch John Ruskin erwähnt. Habe ich aber gar nicht.Und dann muß ich gestehen, daß ich mir über seine Bedeutung für das geistige Leben im England des 19. Jahrhunderts nur höchst oberflächlich im Klaren war. Ich mag nicht nach der Art gewisser Hochstapler sofort von dem zu schreiben beginnen, was ich eben anfange zu lesen, also habe ich begonnen, in seinen Schriften zu stöbern. Man kann das online übrigens sehr gut an diesem Ort.
Das zuerst auffallende ist, man möchte bei nahezu jedem Satz entweder heftig widersprechen oder zustimmen, ein aufregender Denker also, erster Professor für Kunst an der Universität Oxford, Schriftsteller, Sozialreformer, Denkmalpfleger, Kunsthistoriker, Landschafts- und Architekturmaler und noch einiges mehr. Seine verschiedenen Interessen scheinen ihn geradezu übermannt zu haben. Großherzig im persönlichen Umgang, dafür oft scharf im Urteil. Für Ersteres gibt das obige Bild ein schönes Beispiel:
Ruskin war u.a. als Kunstkritiker ein großer Förderer der Präraffaeliten, einer von ihnen, Millais, schuf dieses Porträt Ruskins, und als es vollendet war, verließ diesen seine Frau Effie, sie ließ ihre Ehe gerichtlich annullieren und heiratete Millais im folgenden Jahr, und während dieser den Kontakt zu Ruskin abbrach, äußerte sich jener nichtsdestotrotz weiterhin freundlich über Millais.
Noch eine persönliche Kuriosität. Ich mag noch nichts Zusammenfassendes über Ruskin schreiben, es gibt hier im Biographisch-Bibliographischen Kirchenlexikon einen Artikel über ihn, der das wunderbar bewerkstelligt (auch wenn die Seite leider vom Optischen her stets nur schwer lesbar ist), aber ich will nachfolgend ausführlicher aus seinen Schriften zitieren und zwar aus einem Sammelband, der sich seit Monaten in meinem Besitz befindet. Mir war das zuerst gar nicht bei dem Stichwort Ruskin aufgefallen. Hintergrund: er gehört zu einem Stapel Bücher, die einem verstorbenen Pastor gehörten, seine Frau hatte sie mir freundlicherweise überlassen. Der Mann war Kettenraucher, folglich stanken die Bücher wie die Pest. Der Stapel wanderte langsam von der Terrasse in den Flur, und einzelne Titel landeten dann auch schon im Arbeitszimmer, wie dieser Ruskin, auf „den ersten Geruch“ hin schien er nun lesbar, aber als ich es aufschlug, schlug ich es sofort wieder zu. Die nachfolgenden Zitate sind also „erkämpft“.
„Genau in dem Grade, in dem du Wesen finden kannst, die größer sind als du, zu denen du aufsehen kannst, in dem Grade wirst du edler, in dem Grade wirst du glücklicher werden. Wenn du immer in der Gegenwart von Erzengeln leben könntest, würdest du glücklicher sein, als in der Gesellschaft von Menschen; aber sogar in der Gesellschaft bewunderungswürdiger Ritter und schöner Damen würdest du desto glücklicher sein, je edler und glänzender sie wären, und je mehr du ihre Tugend verehren könntest. Wenn du dagegen dazu verurteilt wärest, unter einer blöden, dummen, verdrehten und boshaften Menge zu leben, so würdest du im beständigen Gefühl deiner Überlegenheit nicht glücklich sein. Ebenso hängt alle Freude und Kraft der Menschheit zum Fortschritt davon ab, daß etwas zu verehren gefunden wird, und alles Elend der Menschheit fängt mit der Gewohnheit des Verachtens an.“
„Kein physischer Irrtum kann tiefer, kein sittlicher kann gefährlicher sein, als die mönchische Lehre des Gegensatzes von Körper und Seele. In einem unvollkommenen Körper kann keine Seele vollkommen sein; kein Körper ist vollkommen ohne vollkommene Seele. Jede rechte Tat, jeder wahre Gedanke prägen das Siegel ihrer Schönheit auf Person und Antlitz; alles verkehrte Tun und unreine Denken das Siegel der Verzerrung. Ausdruck und Erscheinung des Menschen könnte so einfach gelesen werden, wie eine gedruckte Geschichte, wenn nicht die Eindrücke so mannigfaltig zusammengesetzt wären, daß es in einigen Fällen immer (und bei dem gegenwärtigen Stande unseres Wissens in allen Fällen) unmöglich bleiben muß, sie vollständig zu entziffern. Nichtsdestoweniger kann das Gesicht eines beständig Gerechten von dem Gesicht eines in der Ungerechtigkeit beständigen Menschen auf den ersten Blick unterschieden werden; und wenn durch ein oder zwei Geschlechter hindurch in diesen Eigenschaften beharrt wird, so entsteht ein vollständiger Unterschied natürlicher Veranlagung… Noch sind die Grenzen des Adels nicht festgelegt, die der Mensch durch beharrliches Beobachten der göttlichen Gesetze über Geburt und Erziehung erreichen kann.“
„Die Bildung rechter Art und Neigung wird durch ein geduldiges Herz bedingt. Es verweilt bei dem, was ihm vorliegt. Es tritt es nicht mit Füßen – es möchten Perlen sein, obwohl es wie Schoten aussieht. Es ist guter Boden, der willig aufnimmt und treu bewahrt, der nicht die Dornen liebloser Gedanken treibt, den schwachen Samen zu ersticken, der auch hungrig und durstig ist und allen Tau trinkt, der auf ihn fällt. Ein aufrichtiges und gutes Herz, das kein zu schnelles Wachstum zeigt, ehe die Sonne aufgeht, aber das es hernach nicht mangeln läßt. Es mißtraut sich selbst und ist bereit, alle Dinge zu glauben und zu versuchen und ist doch so voller Selbstvertrauen, daß es nicht losläßt, was es geprüft hat und nichts unerprobt annehmen will. Die Freude, die es an den als treu und gut erfundenen Dingen hat, ist so groß, daß es unmöglich durch List und Betrug der Mode und des Scheins irregeführt werden kann, es kann in seinen Entschlüssen nicht durch Parteilichkeit und Heuchelei beschränkt werden. Seine Gesichte und seine Freuden sind zu dringend und zu lebendig, als daß irgendein übertünchtes Ding oder schaler Quell ihnen lange genügen könnte. Was es liebt, umfaßt es so innig, daß es zermalmt, was hohl ist.“
„Der Geschmack ist nicht nur ein Teil und Exponent der Sittlichkeit; - er ist die einzige Sittlichkeit. Die erste und letzte und schärfste Prüfungsfrage für jedes lebende Wesen ist: ‚Was magst du gern?‘ Sage mir, was du gern magst, und ich will dir sagen, wer du bist…. ‚Nein,‘ wirst du vielleicht antworten, ‚wir sollten lieber danach fragen, was diese Leute und Kinder tun, als was sie gern mögen… Das Tun ist das Große…‘ Das ist in der Tat für eine kurze Zeit und in einem vorläufigen Sinne wahr. Denn wenn die Leute mit Entschlossenheit tun, was recht ist, werden sie allmählich dahin kommen, es gern zu tun. Sie sind aber erst dann in der rechten sittlichen Verfassung, wenn sie es gern tun; solange sie es nicht gern tun, sind sie in einem verderbten Zustand… Es ist das ganze Ziel wahrer Erziehung, die Leute dahin zu bringen, daß sie die rechten Dinge nicht nur tun, sondern genießen, - daß sie nicht nur fleißig sind, sondern den Fleiß lieben, - daß sie nicht nur gelehrt sind, sondern das Wissen lieben, - daß sie nicht nur rein sind, sondern Reinheit lieben, - daß sie nicht nur gerecht sind, sondern hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit.“
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