Montag, 28. November 2011

Dies & Das & Blake


Tavener - The Tyger
hier gefunden

Kaum ist man mal in eine Phase geistiger Trägheit eingetreten, schon wird man lobend erwähnt. Nett. Zum Glück galt das Lob aber eher dem geschätzten Prof. Aue und seiner Übersetzung von Blakes „The Tyger“ (man sehe bitte auch hier unter Blake nach). William Blake wurde am 28. November 1757 geboren. Ein höchst eigenwilliger Mann, Maler, Kupfer-Stecher, Visionär, Poet, religiöser Autor, Erfinder von Mythologien… Jemand, der sich dem begrifflichen Zugriff entschieden entzieht.

Das beginnt schon damit, daß man bei diesem Künstler, dessen Bilder derart von religiösen Motiven erfüllt sind (Dante, Buch Hiob, Apokalypse, Evangelien), kaum sagen kann, ob er nun eigentlich Christ oder Gnostiker oder Neuplatoniker war. Er mochte keine Institutionen, das immerhin ist sicher, und besaß eine überbordende Phantasie. Ich habe mich schon gelegentlich an ihm abgemüht (etwa hier). Noch kurz zu dem oben verlinkten Blog „silvae“ - das Video, eine Vertonung besagten Gedichts von John Taverner, habe ich neben anderem Unterhaltsamen, ebenfalls auf ihm gefunden.

Doch noch etwas Biographisches. Blake war Schüler von Basire, wurde beeinflußt von Mortimer, Barry, Flaxman, vor allem aber Füßli. Die Wertschätzung seines Werkes schwankte, 1827 starb er als verarmter „Sonderling“, zumindest sahen ihnen seine Zeitgenossen so. An vergangenen Malern galten ihm nur Raffael, Michelangelo und Dürer etwas. Zuerst noch konnte er sich für die Antike erwärmen, was man seinem Werk auch ansieht, später blieb nur für ihn die Gotik gültig („Grecian is Mathematic Form“, „Gothic is Living Form“).

zu Dante, "Der Wald der Selbstmörder", nach 1824
hier gefunden

Zu seinen bekanntesten Schöpfungen gehören die Radierungen zu Youngs „Night thoughts“ und zu seinen eigenen „Songs of innocence and experience“, an späten Werken sind besonders erwähnenswert die Illustrationen zum Buch Hiob und zu Dantes „Göttlicher Komödie“, der Höhepunkt ist vermutlich „Jerusalem“, in dem er sein eigenes Weltbild noch einmal zusammenfaßt. Man muß vielleicht einschränken, daß seine Randständigkeit eher zur Gesellschaft galt. Denn er hat auch in seinen letzten Lebensjahren noch andere, jüngere Künstler beindruckt und beinflußt (Linnell, Palmer, Calvert etwa), später schätzten ihn dann die Präraffeliten (Rossetti) und im 20 Jahrhundert wurde er dann zu einem verblüffend erfolgreich Idol der Popkultur. Und die Nation, die ihn nicht schätzte, hat sich von ihm ihre inoffizielle Hymne schreiben lassen. Seltsam.


William Blake "Jerusalem
hier gefunden

Dieses Bild dort unten ist musterhaft, um zu zeigen, wie sehr Blake seine Rätsel liebt. Man nennt es „Nymphengrotte“, „Kreis des Lebens“ oder auch „Meer von Zeit und Raum“. Wirft Odysseus den Schleier ins Meer zurück, den ihm die Meeresgöttin Leukothea gegeben hatte, damit er die Fluten überwinden und sich so retten konnte und neben ihm stünde Athene? Oder ist es eine Illustration zu „De antro nympharum“ des Porphyrios (folglich die Höhle der Nymphen in Ithaca und ein Sinnbild des Abstiegs der Seele in die materielle Welt, dann würde die Gruppe von Frauen mit Weberschiffchen die Gewänder des sterblichen Lebens wirken, die Frauengestalt scheinbar mit Stricken an den Handgelenken wäre eine Seele, die eingekleidet würde, die besinnungslos am Ufer liegende Gestalt auf ihre Einkleidung warten und die parzengleichen Figuren ihr gegenüber schnitten den Lebensfaden wieder ab)?

Ist es die Woge des Materiellen, in die sich der Mensch gerade zu verlieren scheint, seine Seele aber weist nach oben, um ihm zu zeigen, wohin er sich zu wenden habe? Ist es der Kreis des Lebens mit Bildern von einem schlafenden Schöpfer, der Liebe (das liegende Paar), der Religion (ein Tempel), der Arbeit (webende Frauengestalten, vielleicht Nymphen), der Sünde (die ertrinkende Gestalt)? Und der Tod in Gestalt dieser Frauen zerschneidet das Gewebe des Lebens?

Blake will den Menschen aus der Dämonie des Materiellen reißen und in die Ewigkeit führen. Gott schuf nicht nur den Körper, sondern auch die Phantasie des Menschen nach seinem Ebenbild, so also „existiert alles in der Phantasie des Menschen“ (Jerusalem). Die irdische Welt ist ihm dabei nur bedingt hilfreich, er lebt im Geistigen, in der Welt der Ideen. „Die Natur lehrt uns nicht das Leben des Geistes, sie lehrt uns einzig das Leben der Natur“. Seine Leitgestalten dabei - Christus (ein sehr eigen interpretierter), dessen Inkarnation, Opfertod, Brüderlichkeit, Vergebung, Hingabe und der Heilige Geist, der „die Göttlichkeit im Menschen ist und der Genius jeder Individualität“ (Jerusalem). Das Leben ein geistiger Kampf, um zurück nach Eden zu gelangen. Das Jüngste Gericht, eine Reinigung der Menschen vom Bösen, um in die Ewigkeit zurückkehren zu können. Und „der unvergängliche Leib des Menschen ist die Phantasie“.

To see a world in a grain of sand / And a heaven in a wild flower,
Hold infinity in the palm of your hand / and eternity in an hour.

beendet am 29. November

7 Kommentare:

Morgenländer hat gesagt…

Lieber Martin,

ein großartiger, sehr verdichteter Post! Nun warte ich um so gespannter auf deinen "Trakl / Fühmann".

Herzliche Grüße
Morgenländer

MartininBroda hat gesagt…

Vielen Dank für die Blumen, ich hatte mich eher hindurchgequält, war eine Art Trotzpost, daß mir der Kerl nicht wieder entgleitet und ich wollte schon eine Ahnung bekommen von dem, worüber ich meinte, schreiben zu müssen. Mal sehen, was ich heute mache, irgendwas wird es wohl sein. Grüße zurück.

Martin

Walter A. Aue hat gesagt…

Danke! Und ich danke auch herzlich für den Hinweis auf den Silvae blog mit einer Übersetzung, die ich nicht kannte und die, hätte ich sie gekannt, mich vielleicht davon abgehalten hätte, dem Tiger zu nahe zu treten.

Mit Ihrer Erlaubnis möchte ich gerne Sie und "Jay" für meine deutschen Leser auf der "Tyger" Seite zitieren.

Nicht dass ich viel von Blake verstünde, aber ich lese/sehe ihn sehr gerne. Er hat tiefer und weiter aus dem Kindlich-Sein geschöpft als (fast) alle Andern. Daher auch sein kindlich-echter Zorn über die Grausamkeit und Scheinheiligkeit seiner Zeit. Seine Kritiker, die ihn als "mad" einstuften, konnten das nur mit Hilfe einer dürren Rationalität tun...

Walter A. Aue hat gesagt…

Please check the tiger cage to see if everything's ok or if a new lamb is needed. And I also am waiting for "Trakl/Fuehmann". All the best,
Walter A. Aue

MartininBroda hat gesagt…

@Prof. Aue Ja natürlich von meiner Seite, die "dürre Rationalität" dürfte tatsächlich der Schlüssel sein. Ich hatte wirklich versucht, mich ein wenig in ihn hineinzufinden und verstehe jetzt vielleicht seinen Zorn darüber, wie sich seine Nation so geistig entleerte. Aber er ist wirklich schwer zu greifen.

Ein zorniges & gerechtes Kind, das mag ihn beschreiben + ein paar Visionen dazu, aber als ob es irgendwie besser geworden wäre seitdem.

Walter A. Aue hat gesagt…

Falls Sie eine poetischere Uebersetzung als die der Wikipedia wollen:


Und tat sein Fuß...
(Jerusalem)

Und tat Sein Fuß in alter Zeit
durch's Grün von Englands Bergen gehn?
Und ward das heil'ge Gotteslamm
auf Englands Weiden einst gesehn?

Und sah das göttliche Gesicht
durch uns'rer Hügel Wolkenmeer?
Und ward Jerusalem gebaut
nebst Satans schwarzen Mühlen her?

Bringt meines Bogens Goldesglühn;
bringt Pfeile mir, die ich erdacht;
bringt meinen Speer: Teilt, Wolken, euch:
Bringt meines Feuerwagens Macht!

Nicht lass' ich ab vom Geisteskampf,
nicht schlaf' das Schwert in meiner Hand,
bis wir Jerusalem erbaut
in Englands grünem, schönen Land.

MartininBroda hat gesagt…

@Prof. Aue Ich hoffe, sie hatten bemerkt (ich schaue gerade auf unbeantwortete Kommentare), daß ich am 10. Dezember auf Ihre Übersetzung hinwies (das wäre nicht ganz so spannend), aber vor allem, daß sie von jemandem gewürdigt wurde, dessen Urteil ich sehr schätze.