Freitag, 24. April 2009

Über das Zweifelhafte des Normalen


Südwest Reiter Denkmal in Windhoek
hier gefunden

Ich mag solche „Posts“ eher nicht, ich möchte diesen Ort letztlich heiter erscheinen lassen, aber der Kalender (gibt es eigentlich ein Zeichen für „sigh“ im Deutschen, das Lesen englischsprachiger Blogs hat offenkundig einen schlechten Einfluß auf mich), ich sehe übrigens gerade nebenbei eine Dokumentation über das erste Gulag in Rußland, ein vormaliges Kloster im Nordmeer, eine Antwort: „unser Präsident war ein Tschekist, unser Patriarch war ein Tschekist“, welch ein Abgrund der Haltlosigkeit hinter den Kulissen.

Der Kalender: 1915. Auf Anordnung von Innenminister Talat Pascha beginnt im Osmanischen Reich der Völkermord an den Armeniern. Das gerät heute, wie zu sehen, unerfreulich, also eine letzte Warnung. Es gibt eine kuriose persönliche Konnotation. Als meine Existenz in Potsdam schon ziemlich zerbröselt war und ich noch eine Bewerbung beim dortigen Bildungsministerium „laufen hatte“, empörte mich eine Bemerkung des zuständigen Staatssekretärs und mit einem Leserbrief in der „Märkischen Allgemeinen“ beerdigte ich im Januar 2005 alle sowieso unberechtigten Erwartungen. Selbstzitate sind eher peinlich, aber sei es drum:

„Es gibt Sätze, bei denen man sich mit jedem erneuten Lesen mehr fragt, in welcher Geistesverfassung sich derjenige befunden hat, der sie von sich gegeben hat.

In der heutigen Ausgabe der Märkischen Allgemeinen werden die Erklärungsbemühungen von Bildungsstaatssekretär Gorholt wiedergegeben, warum der 1. Genozid des 20. Jahrhunderts - der Völkermord an den Armeniern - aus dem Lehrplan gestrichen wurde. Man wird u.a. damit beruhigt, daß das Thema mitnichten aus dem Unterricht verschwinden solle, sondern es nur noch einer ausführlichen und ausgewogenen Handreichung bedürfe, die im kommenden Schuljahr vorgelegt werde...

Und dann folgt jener Satz: „Die Handreichung werde Distanz wahren - gegenüber Armeniern und Türken - und werde Kontroversen zulassen.“ (!)

Distanz wozu: Daß die armenische Bevölkerung im Osmanischen Reich nach wiederkehrenden schweren Verfolgungen schließlich 1915/16, entweder vertrieben oder physisch ausgelöscht wurde? Ein „effizient“ organisierter und vor allem „erfolgreich“ durchgeführter Genozid, der erste des 20. Jahrhunderts. Mindestens eine Million Armenier werden ermordet und mit ihnen wird ein ganzes Land - Westarmenien, seine Kultur, seine Geschichte - ausgelöscht. Franz Werfel hat dies 1933 (!) in einem der großen Romane des 20. Jahrhunderts beschrieben („Die vierzig Tage des Musa Dagh„­). Die stärkste moralische Stimme gegen dieses Verbrechen gehörte einem Potsdamer Pfarrer, Johannes Lepsius.

Man stelle sich an diesem 27. Januar einmal für eine Sekunde vor, jemand würde bei der Beschreibung­ des Holocaust Distanz zu beiden Seiten und Raum für Kontroversen fordern. Man schämt sich bereits für diesen Gedanken.“

Soweit meine damaligen, von Opportunismus wahrlich nicht freien Bemerkungen, aber wozu redigieren. Im Kern hat sich an den beschriebenen Tatsachen nicht wesentliches geändert.

Das zu dem, worüber ich eigentlich nichts schreiben wollte, zumal mich mittlerweile ein 1stündiges Gespräch etwas durcheinander gebracht hat. Aber wie brüchig all das ist, was wir für normal halten, daß dieses Normale eine Konvention ist, die beliebig umschreibbar erscheint, und so etwas wie Mitleid mit denen, die meinen, aus diesen Abgründen ihre kleine Ideologie zimmern zu können, das blieb mir doch erwähnenswert.

Das andere Merkzeichen des Kalenders ist etwas weniger dramatisch. Am 24. April 1884 wurde ein Gebiet im südlichen Afrika unter den Schutz des Deutschen Reiches gestellt, und so entstand, um den Sprachgebrauch der Zeit aufzugreifen, das „Schutzgebiet Deutsch-Südwestafrika“ (heute Namibia).

Das Deutsche Reich kam aus nachvollziehbaren Gründen spät zu ein paar Kolonien, und auch nur in einer davon hatten sich in spürbarem Umfang Deutsche niedergelassen, in eben besagtem Deutsch-Südwestafrika. Diese deutschen Prägungen sind wohl noch immer ein wenig dort spürbar.

Wobei, um mit einer gänzlich unpassenden Bemerkung zu enden, ich gebe zu, es findet sich mehr als ein obskurer Link auf dieser Seite, den zur „Allgemeinen Zeitung“ gibt es schon länger, und sei es nur, um, wenn mich wieder einmal das Gefühl des Gestrandet-Seins übermannt, zu sehen, es bestehen Orte, an denen ist es wesentlich, nun ja temperierter (jedenfalls innerlich). Genug des Geschwätzes, für heute.

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