William Blake, Und Elohim schuf Adam
Das ist jetzt die dritte Station unserer Lesereise durch C. G. Jungs „Antwort auf Hiob“. Ein Einstieg findet sich
hier, eine Darlegung seiner methodologischen Prinzipien
dort, vor allem die Erzählung an
diesem Ort. Und jetzt soll es um das Gottesbild gehen, das er uns vorstellt. Ich habe mich diesmal sehr bemüht, mich mit aufdringlichen Kommentaren oder Erklärungsversuchen zurückzuhalten. Das müßte schon gesondert erfolgen, auch ein Versuch, die Linien dieses Gottesdramas nachzuzeichnen, sowie - für die Frommen unter meinen Lesern - wie dies alles einzuordnen sei.
Das soll folgen, aber sicherlich nicht morgen. Sonst laufen mir noch die anderen verbliebenen Leser weg. Nein, das ist natürlich nicht der Grund. Aber man muß ja auch selbst ein wenig über das nachdenken, was man da so liest und schreibt. Und wer das bisherige unbefriedigend findet, nun, dann sind wir schon zwei.
Ein Gott auf der Couch
„Als das Buch entstand“ so Jung, „lagen schon vielerlei Zeugnisse vor, welche ein widerspruchsvolles Bild Jahwes entworfen hatten, nämlich das Bild eines Gottes, der maßlos war in seinen Emotionen und an eben dieser Maßlosigkeit litt. Er gab es sich selber zu, daß ihn Zorn und Eifersucht verzehrten und daß ihm dieses Wissen leidvoll war. Einsicht bestand neben Einsichtslosigkeit, wie Güte neben Grausamkeit und wie Schöpferkraft neben Zerstörungswillen. Es war alles da, und keines hinderte das andere.“
Ein derartiger Zustand sei nur denkbar, wenn entweder kein reflektierendes Bewußtsein vorhanden sei, oder wenn die Reflexion ein bloß ohnmächtig Gegebenes und Mitvorkommendes darstelle. Mit anderen Worten, der Übeltäter schaue sich allenfalls bei seinem Tun selber zu, ohne innezuhalten. Das Stichwort ist gefallen: „Ein Zustand, der solchermaßen beschaffen ist, kann nur als amoralisch bezeichnet werden.“
In einem Menschen, der uns Böses antue, könnten wir nicht zugleich den Helfer erwarten. Jahwe aber sei kein Mensch; Er sei beides, Verfolger und Helfer in einem, wobei der eine Aspekt so wirklich sei wie der andere. Jahwe sei nicht gespalten, sondern eine Antinomie, eine totale innere Gegensätzlichkeit, die unerläßliche Voraussetzung seiner ungeheuren Dynamik, seiner Allmacht und Allwissenheit. Aus dieser Erkenntnis heraus halte Hiob daran fest, ihm „seine Wege darzutun“, das heißt, ihm seinen Standpunkt klar zu machen, denn ungeachtet seines Zornes sei er sich selber gegenüber auch der Anwalt des Menschen, der eine Klage vorzubringen habe.
„Man könnte über die Gotteserkenntnis Hiobs noch mehr erstaunt sein, wenn man von der Amoralität Jahwes hier zum ersten Male vernähme. Die unberechenbaren Launen und verheerenden Zornanfälle Jahwes waren aber seit alters bekannt. Er erwies sich als eifersüchtiger Hüter der Moral; insbesondere war er empfindlich in bezug auf Gerechtigkeit. Er mußte daher stets als 'gerecht' gepriesen werden, woran, wie es scheint, ihm nicht wenig lag. Dank diesem Umstand beziehungsweise dieser Eigenart hatte er distinkte Persönlichkeit, die sich von der eines mehr oder weniger archaischen Königs nur durch den Umfang unterschied.“
Wir sind mittendrin in Jungs Analyse der distinktiven Persönlichkeit, die uns im Gott Jahwe entgegentritt. Das heißt, er nimmt diese aus dem Archetypus des Göttlichen erwachsende Gestalt, genauer Person ernst und wahr und behandelt sie entsprechend. Der Persönlichkeitstypus, den er sieht, ist der eines archaischen Menschen, genauer Herrschers, machtbewußt, amoralisch, willkürhaft. Nur eben mit unendlich gesteigerter Macht. Dazu gehört auch das Abverlangen von Loyalität. Denn Jahwe ist nicht nur ein amoralischer, er ist auch ein einsamer Gott, auf den Menschen angewiesen.
„Sein eifersüchtiges und empfindliches Wesen, das mißtrauisch die treulosen Herzen der Menschen und ihre heimlichen Gedanken durchforschte, erzwang ein persönliches Verhältnis zwischen ihm und dem Menschen, der nicht anders konnte, als sich persönlich von ihm angerufen zu fühlen.“
Um mit einem eigenen Gedanken dazwischenzutreten. Das Erwachen des Religiösen im Menschen war wohl zuerst ein Phänomen von Überwältigung durch eine numinose Macht. Der Einbruch einer gesteigerten Kraft in das menschliche Bewußtsein, der man sich unterwirft, vor der man sich schützt, mit der man sogar in Verbindung treten wollte, um einen Verbündeten zu gewinnen etwa...
Jung findet einen wesentlichen Punkt. Jahwe ist auffällig anders als seine Götterkollegen. Er vergleicht ihn mit dem „allwaltenden Vater Zeus, der wohlwollend und etwas detachiert die Ökonomie der Welt auf altgeheiligten Bahnen abrollen ließ und nur das Unordentliche bestrafte. Er moralisierte nicht, sondern waltete instinkthaft. Von den Menschen wollte er nichts als die ihm gebührenden Opfer; mit ihnen wollte er schon gar nichts, denn er hatte keine Pläne mit ihnen. Vater Zeus ist zwar eine Gestalt, aber keine Persönlichkeit. Jahwe dagegen lag es an den Menschen. Sie waren ihm sogar ein Anliegen erster Ordnung. Er brauchte sie, wie sie ihn brauchten, dringlich und persönlich.“
Nach Jung waren die Menschen des frühen Altertums von ihren archaischen Göttern derlei Launen gewohnt, bei Jahwe war es insofern anders, als in der religiösen Beziehung eine persönlich moralische Bindung hinzutrat. Er bringt als Beispiel für die Problematik den David zugeschriebenen Psalm 89, in dem dieser sich über Jahwes Vertragsbruch beklagt und resümiert:
„Der Interlocutor kann es allerdings nicht wagen, mit dem allmächtigen Partner wegen des Vertragsbruches zu rechten. Er weiß, was er zu hören bekäme, wenn er der bedauernswerte Rechtsbrecher wäre. Er muß sich, weil es sonst lebensgefährlich für ihn würde, auf das höhere Niveau der Vernunft zurückziehen und erweist sich damit, ohne es zu wissen und zu wollen, als dem göttlichen Partner in intellektueller sowohl als moralischer Hinsicht leise überlegen. Jahwe merkt es nicht, daß er 'behandelt' wird, so wenig wie er versteht, warum er anhaltend als gerecht gepriesen werden muß. Er hat einen dringlichen Anspruch an sein Volk, in allen möglichen Formen 'gepriesen' und propitiiert zu werden, mit dem offensichtlichen Zweck, ihn um jeden Preis bei Laune zu erhalten.“
„Jahwe liebt keine kritischen Gedanken, welche den von ihm verlangten Anerkennungszufluß irgendwie schmälern könnten. So laut seine Macht durch die kosmischen Räume dröhnt, so schmal ist die Basis ihres Seins, das nämlich einer bewußten Widerspiegelung bedarf, um wirklich zu existieren. Gültig ist das Sein natürlich nur, wo es jemandem bewußt ist. Darum bedarf ja der Schöpfer des bewußten Menschen, obschon er diesen, aus Unbewußtheit, am Bewußtwerden lieber verhindern möchte.“
Der hieraus sichtbar werdende Charakter passe zu einer Persönlichkeit, die nur vermöge eines Objektes sich ein Gefühl eigener Existenz verschaffen könne. Die Abhängigkeit vom Objekt ist absolut, wenn das Subjekt keinerlei Selbstreflexion und damit auch keine Einsicht in sich selbst besitze. Es habe den Anschein, als ob es nur vermöge des Umstandes existiere, daß es ein Objekt habe, welches dem Subjekt versichere, es sei vorhanden. Wenn Jahwe, wie man wenigstens von einem einsichtigen Menschen erwarten dürfte, wirklich seiner selbst bewußt wäre, so hätte er, in Anbetracht der wirklichen Sachlage, den Lobpreisungen seiner Gerechtigkeit wenigstens Einhalt tun müssen.
Er sei aber zu unbewußt, um „moralisch“ zu sein. Moralität setze Bewußtsein voraus. Damit solle selbstverständlich nicht gesagt sein, daß Jahwe etwa unvollkommen oder böse sei wie ein gnostischer Demiurg. Er sei jede Eigenschaft in ihrer Totalität, also unter anderem die Gerechtigkeit schlechthin, aber auch das Gegenteil, und dies ebenso vollständig.
So wenigstens müsse er gedacht werden, wenn man sich ein einheitliches Bild seines Wesens machen wolle. Wir müßten uns dabei nur bewußt bleiben, daß wir damit nicht mehr als ein anthropomorphes Bild entworfen hätten, welches nicht einmal besonders anschaulich sei. Die Äußerungsweise des göttlichen Wesens lasse erkennen, daß die einzelnen Eigenschaften ungenügend aufeinander bezogen seien, so daß sie in einander widersprechende Akte zerfielen. So zum Beispiel reue es Jahwe, Menschen gemacht zu haben, wo doch seine Allwissenheit von Anfang an genau im Bilde darüber war, was mit solchen Menschen geschehen würde.
Hiob und Gott
Zurück zu Hiob. Nachdem Jung den Gott Jahwe sehr plastisch analysiert hat, fragt er nach dem Verhältnis der beiden: „Das Verhalten des Gottes ist, vom menschlichen Standpunkt aus betrachtet, dermaßen empörend, daß man sich fragen muß, ob dahinter nicht ein tieferreichendes Motiv verborgen liegt? Sollte Jahwe einen geheimen Widerstand gegen Hiob haben? Das könnte sein Nachgeben gegenüber Satan erklären.“
Was aber besitze der Mensch, das der Gott nicht habe? Wegen seiner Kleinheit, Schwäche und Wehrlosigkeit dem Mächtigen gegenüber besitze er ein etwas schärferes Bewußtsein auf Grund der Selbstreflexion: Er müsse sich, um bestehen zu können, immer seiner Ohnmacht dem allgewaltigen Gott gegenüber bewußt bleiben. Letzterer bedürfe dieser Vorsicht nicht, denn nirgends stoße er auf jenes unüberwindliche Hindernis, das ihn zum Zögern und damit zur Selbstreflexion veranlassen könnte.
„Sollte Jahwe Verdacht geschöpft haben, daß der Mensch ein zwar unendlich kleines, aber konzentrierteres Licht als er, der Gott, besitzt? Eine Eifersucht solcher Art könnte das Benehmen Jahwes vielleicht erklären. Es wäre begreiflich, wenn eine derartige, nur geahnte und nicht begriffene Abweichung von der Definition eines bloßen Geschöpfes das göttliche Mißtrauen erregte... Auch der getreue Hiob könnte schließlich etwas im Schilde führen…, daher die überraschende Bereitschaft, den Einflüsterungen Satans entgegen der eigenen Überzeugung zu folgen!“
„Was ist es - um das Nächste zu nennen - mit dem moralischen Unrecht, das Hiob erlitten? Oder ist der Mensch im Angesichte Jahwes dermaßen nichtswürdig, dass ihm nicht einmal ein 'tort moral' geschehen kann? Das widerspräche der Tatsache, dass der Mensch von Jahwe begehrt wird, und daß es letzterem offenkundig eine Angelegenheit bedeutet, ob die Menschen 'recht' von ihm reden. Er hängt an Hiobs Loyalität, und es kommt ihm so viel darauf an, daß er zugunsten seines Testes vor nichts zurückschreckt.“
Diese Einstellung verleihe dem Menschen beinahe göttliches Gewicht, denn was anderes gäbe es in der weiten Welt, das dem, der alles hat, noch etwas bedeuten könnte? Die zwiespältige Haltung Jahwes, welche einerseits menschliches Glück und Leben achtlos zerträte, andererseits aber den Menschen zum Partner haben müsse, versetze diesen in eine geradezu unmögliche Situation: einerseits benähme sich Jahwe unvernünftig nach dem Vorbild von Naturkatastrophen und ähnlichen Unabsehbarkeiten, andererseits wolle er geliebt, geehrt, angebetet und als gerecht gepriesen werden. Er reagiere empfindlich auf jedes Wörtchen, das auch nur im entferntesten Kritik vermuten ließe, während er sich um seinen eigenen Moralcodex nicht kümmere, wenn sein Handeln mit dessen Paragraphen kollidiere.
Einem derartigen Gotte könne sich der Mensch nur mit Furcht und Zittern unterwerfen und indirekt versuchen, mit massiven Lobpreisungen und ostentativem Gehorsam den absoluten Herrscher zu propitiieren. Ein Vertrauensverhältnis aber erscheine dem modernen Empfinden als völlig ausgeschlossen. Eine moralische Genugtuung gar sei von Seiten eines derart unbewußten Naturwesens nicht zu erwarten, jedoch sei sie Hiob geschehen, allerdings ohne Absicht Jahwes und vielleicht auch ohne Wissen Hiobs, wie es der Dichter jedenfalls möchte erscheinen lassen.
Die Reden Jahwes hätten den zwar unreflektierten, aber nichtsdestoweniger durchsichtigen Zweck, die brutale Übermacht des Demiurgen dem Menschen vorzuführen: „Das bin Ich, der Schöpfer aller unbezwingbaren, ruchlosen Naturkräfte, die keinen ethischen Gesetzen unterworfen sind, und so bin auch ich selber eine amoralische Naturmacht, eine rein phänomenale Persönlichkeit, die ihren eigenen Rücken nicht sieht.“
Das könne wenigstens eine moralische Genugtuung größten Stiles für Hiob sein, denn durch diese Erklärung würde der Mensch trotz seiner Ohnmacht zum Richter über die Gottheit erhoben. „Wir wissen nicht, ob Hiob das gesehen hat. Wir wissen es aber positiv aus so und so vielen Hiobkommentaren, daß alle nachfolgenden Jahrhunderte übersehen haben, wie eine Μοϊρα oder Δικη über Jahwe waltet, die ihn veranlaßt, sich solchermaßen preiszugeben. Jeder, der es wagt, kann sehen, wie Er Hiob unwissentlich erhöht, indem Er ihn in den Staub erniedrigt. Damit spricht er sich selber das Urteil und gibt dem Menschen jene Genugtuung, die wir im Buche Hiob immer so schmerzlich vermißten.“
Nun müssen wir nicht jedem Gedankengang Jungs folgen. Wir versuchen ja auch nur, sie in wesentlichen Punkten nachzuzeichnen. Hiob gewinne also in der Konfrontation mit Jahwe eine Bewußtheit, die ihn diesem gegenüber in den Vorteil bringe. Unbewußtheit sei tierisch-naturhaft. Es sei das Benehmen eines vorzugsweise unbewußten Wesens, das man nicht moralisch beurteilen könne: „Jahwe ist ein Phänomen und 'kein Mensch'.“
„Hiob erkennt die innere Antinomie Gottes, und damit erlangt das Licht seiner Erkenntnis selber göttliche Numinosität. Die Möglichkeit einer derartigen Entwicklung beruht, wie zu vermuten, auf der Gottebenbildlichkeit, die man wohl kaum in der Morphologie des Menschen suchen darf. Diesem Irrtum hat Jahwe selber durch das Bilderverbot vorgebeugt. Indem sich Hiob nicht davon abbringen lässt, seinen Fall, auch ohne Hoffnung auf Erhörung, vor Gott darzulegen, hat er sich ihm gestellt und damit jenes Hindernis geschaffen, an dem das Wesen Jahwes offenbar werden muß.“
Das ist ein höchst interessanter Gedanke. Aber wir wollen doch wenigstens ein wenig vom typischen Jung-Sound bringen, den viele eher, sagen wir höflich, verstiegen finden
„Die neue Tatsache, um die es sich handelt, betrifft den in der bisherigen Weltgeschichte unerhörten Fall, daß ein Sterblicher durch sein moralisches Verhalten, ohne es zu wissen und zu wollen, bis über die Sterne erhoben wird, von wo aus er sogar die Rückseite Jahwes, die abgründige Welt der 'Schalen', erblicken kann.“
Das ist eine Vorstellung der Kabbala. Diese "Schalen“ Kelipoth, welche die bösen und dunkeln Mächte darstellen, bilden die zehn Gegenpole zu den Sefiroth, den zehn Stufen in der Offenbarung der göttlichen Schöpferkraft, und waren ursprünglich mit deren Licht vermischt. Mit der Ausmerzung der Schalen, „Bruch der Gefäße", gewannen die Mächte des Bösen erst eine eigene und wirkliche Existenz.
„Man kann sich kaum dem Eindruck entziehen, daß die Allwissenheit sich allmählich einer Realisierung nähert, und eine Einsicht droht, die von Selbstvernichtungsängsten umwittert zu sein scheint…“ Jung sieht Jahwe also in einer beginnenden Persönlichkeitskrise, die ihm ein Schicksal hätte bereiten können, wie es den griechischen Göttern beschieden war. Wozu es bekanntlich nicht kam, aber wir greifen vor.
„Der unbewußte Geist des Menschen sieht richtig, auch wenn der bewußte Verstand geblendet und ohnmächtig ist: das Drama hat sich für alle Ewigkeit vollendet: Jahwes Doppelnatur ist offenbar geworden, und jemand oder etwas hat sie gesehen und registriert. Eine derartige Offenbarung, ob sie nun zum Bewußtsein der Menschen gelangte oder nicht, konnte nicht ohne Folgen bleiben.“
wird, sub conditione Jacobaea, fortgesetzt