Dienstag, 31. Mai 2011

Montag, 30. Mai 2011

Zwischentext

Augustusplatz mit Paulinerkirche, 1948
hier gefunden

Die weltlichen Schwarmgeister, die diesen Teil Deutschlands über ein paar Jahrzehnte besetzt hielten, hatten ein schwieriges Verhältnis zu Schlössern und Kirchen. Eigentlich bevorzugten sie es, diese Dinge in die Luft zu jagen, das Potsdamer Stadtschloß etwa, und dann wieder dekorierten sie sich mit Schlössern von derselben Herkunft - Sanssouci, schwer nachvollziehbar das alles, Menschen mit schwieriger Psyche eben, aber Kirchen mochten sie doch deutlich weniger. Am 30. Mai 1968 um 9:58 Uhr hatten sie die Paulinerkirche in Leipzig gesprengt. Daran wollte ich doch erinnern, und an die Verrenkungen des Nicht-Wiederaufbaus. Man braucht eigentlich nicht viel mehr, um die letzten 100 Jahre zu beleuchten, solange man einigermaßen seine geistigen Kräfte zusammenhalten konnte.

Sonntag, 29. Mai 2011

Sonntag &

poorly translated


Ich war aufrichtig in Sorge, ich würde heute nicht den üblichen Sonntagsbericht zustande bringen. Zu unkonzentriert fürchte ich. Aber nun gut. Also in Kürze: Wir hatten einen Kotelettbraten (sprich das Fleisch, aus dem üblicherweise Koteletts verfertigt werden, nur eben am Stück), der auf einem Bett aus Zwiebeln, etwas Knoblauch, Thymian, Oregano, Majoran und Rosmarin vor sich hin schmorte. Dazu Spargel im Schinkenmantel. War recht nett.


Ach, und die Rosenknospen sollten eigentlich jeden Tag aufgehen, es sind genug davon da, aber noch ist der Start etwas zögerlich.


I was sincerely worried, I wouldn’t deliver the usual Sunday report, a lack of focus I fear. But anyway. So shortly: We had a pork chop roast (i.e. the meat from what are chops usually made of, but just in a whole piece), cooked on a bed of onions, some garlic, thyme, oregano, marjoram and rosemary. Asparagus wrapped in ham was added. It was quite nice. Oh, and the rose buds are supposed to rise every day, there are enough, but they are still a bit hesitant.

Mittwoch, 25. Mai 2011

Schinkel & Nachträge

Karl Eduard Biermann, Dom über einer Stadt, Kopie nach Schinkel
etwa 1830, hier gefunden

Nur eine kurze Bemerkung zu dem Bild, es ist eine Kopie von Karl Eduard Biermann und hängt in der Neuen Pinakothek in München. Bis vor kurzem glaubte man, daß eine andere Fassung des Gemäldes, befindlich in der Nationalgalerie in Berlin, ebenfalls eine Kopie, nämlich von Wilhelm Ahlborn, sei. Es ist aber wohl doch ein Original von Karl Friedrich Schinkel. Ein amüsanter Artikel dazu findet sich hier.

Ich habe mich mit zunehmendem Mißvergnügen an einem Beitrag über das Wesen von Kunst abgemüht, das Mißvergnügen war ein Grund für die Verzögerung, wer mag, ich weiß, einige hatten den Anfang gelesen und mich dann mit „aufmunternden“ Kommentaren versehen, kann das, was dabei herausgekommen ist, also dort nachlesen.

Es ist wirklich nicht einfach, dabei den Faden zu behalten, die Gedanken wollen immer seitwärts ausbrechen. Gerade über Schinkel und sein nachwirkendes Programm der Ästhetisierung der Welt wäre so viel zu sagen, darum die Reverenz mit der obigen Abbildung.

Dienstag, 24. Mai 2011

Dies & Das


Ja! Ich denke gerade nach, man ist so aus der Übung! (*grrr)

Sonntag, 22. Mai 2011

Sonntag &

roughly translated


Ich weiß nicht, woher mich diese Anwandlung zu rustikalem Essen angesprungen hatte. Jedenfalls habe ich heute einmal ausprobiert, ob ich Kaßler-Braten inzwischen wieder mag, es war ein Kotelettbraten, im Stück, geschmort mit Zwiebeln und natürlich Sauerkraut (dazu nur Salz, Pfeffer, Lorbeerblatt). Ich bin im Moment sehr unentschieden.

Meine Frau Mutter hat ausgedehnte Vorstellungen davon, was sie alles nicht mag, Kaßler gehört definitiv dazu. Also habe ich aus der Güte meines Herzens ein 2. Gericht gekocht – Hähnchenbrust geschmort auf einem Kräuterbett (Rosmarin, Thymian, Majoran. Oregano, Zwiebeln, Knoblauch!) mit Butterschmalz. Dazu Spargel, da schließlich gerade Saison ist. Das Fleisch kam eigentlich wunderbar heraus, aber der Knoblauch! Es ist ein Totschlags-Gewürz, mehr als ein Hauch geht wirklich nicht. Aber es war ihr Wunsch, und so hatte sie zumindest die Sauce davon ganz für sich. Und es schien auch zu konvenieren.


Eigentlich wollte ich jetzt zu einem Orgelkonzert, aber die Chancen stehen nicht schlecht, daß ich dabei einschlafe. Also vielleicht gibt es dann heute doch noch einen der viel versprochenen Nachträge.



I have no clue what brought me into this mood to cook “rustic” this time. Anyway, I tried today to find out if I may like again “Kaßler”. Kassler is a salted and slightly smoked cut of pork, you might look at here, it was a pork chop roast, braised with onions and sauerkraut, of course (added only salt, pepper, bay leaf). I'm not sure about it at the moment.

My mother has a lot of ideas about what she doesn’t like, Kassler is definitely a part of it. So out of the goodness of my heart I cooked a 2nd dish - chicken breast braised on an herb bed (rosemary, thyme, marjoram, oregano, onions, garlic!) with butter. And since it’s the season - asparagus. The meat came out really fine, but the garlic! It is a murder-spice, you can definitely only use a touch of it. But it was her wish, and so she had at least the sauce from the gravy all to herself. And seems she enjoyed it.



Samstag, 21. Mai 2011

Nachträge





„Wenn wir auf das hoffen, was wir nicht sehen, so warten wir darauf in Geduld.“
Römer 8,25

Das ist der Lehrtext für Sonntag, also der ergänzende Text, der den Herrnhuter Losungen beigefügt wird. Hm. Wie auch immer. “Einmal souverän, hängt der Mensch nur noch von seinen Launen ab.“ Einmal mehr ein Zitat von Nicolás Gómez Dávila, ich wollte heute eigentlich ein paar Nachträge anbringen, bin aber irgendwie dafür zu sehr in die Müdigkeit abgesunken. Also wieder nur diese Bilder. Das letzte davon ist insofern kurios als es von Freitagabend stammt. Etwa 7 Minuten Fußweg entfernt von diesem Haus ließ mich ein Gewitter + Wolkenbruch (man bekam einen Ahnung, wie das Wort zustande gekommen ist) für vielleicht eine ¾ Stunde Zuflucht an einem überdachten Ort suchen, zum Glück hatte ich den obengenannten Herrn dabei, das machte dann die Lektüre umso eindrucksvoller.

Mittwoch, 18. Mai 2011

Dienstag, 17. Mai 2011

Nicolás Gómez Dávila

„Im vergangenen Jahrhundert konnte man befürchten, daß die modernen Ideen recht haben würden. Heute sehen wir, daß sie sich nur durchgesetzt haben.“
„Dem Demokraten genügt es nicht, daß wir respektieren, was er mit seinem Leben machen will, er verlangt darüber hinaus, daß wir respektieren, was er mit uns machen will.“
„Solange die Demokratie ihn nicht bemerkt, kann der kultivierte Mensch in demokratischen Zeiten überleben.“

Seit Heraklit wissen wir, daß das Denken scheitert, wenn es nicht wesentlich genug ist, sich von seiner Umgebung zu emanzipieren. Nicolás Gómez Dávila wurde am 18. Mai 1913 in Bogotá geboren und starb dort am 17. Mai 1994. Er ist einer der originellsten Denker, die das letzte Jahrhundert hervorgebracht hat, es gibt nur wenige, die sich derart eloquent und geistsprühend gegen die Grundströmung der letzten sagen wir 250 Jahre gewandt haben. Diese Haltung ist so abgedrängt, daß sie folglich auch auf kein begriffliches Instrumentarium zurückgreifen könnte, das nicht längst denunziert wäre. Gómez Dávila hat dies provokationsfreudig einfach gewendet und sich kurzerhand zum Reaktionär erklärt:

„Das Individuum, das eine authentische Berufung hat, ist reaktionär, welcher Art die Überzeugungen auch seien, die es hegt. Demokrat ist, wer erwartet, daß die Außenwelt ihm Ziele setzt.“

Damit haben seinen Gegenbegriff – die „Demokratie“. Jetzt könnte man sich natürlich darüber entsetzen, wie er es bei der herrschenden Zeitströmung seinen Gegnern so leicht machen kann, ihn zu marginalisieren, indem er diesen „heiligen“ Begriff besudelt. Aber das war ihm wohl zum ersten herzlich gleichgültig und dann ist nach seiner Überzeugung eben das der Kern des Übels. „Demokratie“ ist eine verheimlichte Religion, eine falsche zumal. Denn:

„Es gibt keine Dummheit, an die der moderne Mensch nicht imstande wäre zu glauben, sofern er damit nur dem Glauben an Christus ausweicht.“ „Der Mensch ist Geschöpf oder Gott.“
„Die Demokratie ist eine anthropotheistische Religion. Ihr Prinzip ist eine Option religiösen Charakters, ein Akt, in dem der Mensch den Menschen wie Gott annimmt. Ihre Doktrin ist eine Theologie des göttlichen Menschen, ihre Ausübung ist die Verwirklichung dieses Prinzips im Verhalten, in den Institutionen und in den Werken.“
„Die Demokratie ist atheistisch weil sie es unmittelbar nötig hat, daß es Gott nicht gibt. Wenn es Gott gäbe, wäre der Mensch seine Kreatur. Die Demokratie muß an den Fortschritt glauben um dem Menschen zu versichern, daß sie das Universum verändern kann und es schaffen wird, es nach Maßgabe ihrer Vorstellungen zu gestalten.“

Was ermutigt die sich selbst so bezeichnende Vernunft in dem Glauben, der Transzendenz standhalten zu können? Nach Gómez Dávila ist der Mensch der Moderne ein Wesen ohne Gespür für Verantwortung aus plumper Hybris, da er sich, so etwa wie ein amerikanischer Soldat, der sich mal eben eine Kaiserkrone aufstülpt, an die Stelle Gottes setzt. Und daher bringt eben dieser Mensch regelmäßig Illusionsgebäude und Denksysteme hervor, mit denen die Welt unterworfen und umgeformt werden soll, ob nun liberalistische, marxistische, kapitalistische oder irgendwelche andere mit dieser Endung. Diese Utopie der Selbsterlösung beschränkt sich keineswegs auf abartig Erscheinendes. Und darum ist dann die Aufklärung nur wieder eine dieser neu aufgehübschten Irrlehren, diesmal einmal mehr von Herrn Pelagios.

„Der Subjektivismus ist die Garantie, die der Mensch sich erfindet, wenn er aufhört, an Gott zu glauben.“
„Der größte moderne Irrtum besteht nicht in der These vom toten Gotte, sondern im Glauben, daß der Teufel tot sei.“
„Wenn der Mensch sich nicht von den Göttern in Zucht nehmen läßt, dann nehmen ihn die Dämonen in Zucht.“
„Das religiöse Leben beginnt, wenn wir entdecken, daß Gott nicht ein Postulat der Ethik ist, sondern das einzige Abenteuer, in das es sich zu stürzen lohnt.“

All dies ist gewonnen aus der Eingebung oder Erkenntnis, daß alle wesentlichen Irrtümer theologische Irrtümer sind:
„Es gibt keine universal gültigen Deutungen. Eine religiöse Deutung ist grotesk in einem profanen Kontext, so wie eine profane Deutung grotesk ist in einem religiösen Kontext. Dort sind nur wissenschaftliche Kategorien brauchbar; hier ist alles Zeichen, Symbol, Sakrament.“
„Der Ungläubige stellt sich vor, daß die Religion Lösungen zu geben versucht, während der Gläubige weiß, daß sie nur Rätsel zu vermehren verspricht.“

Aber er ist wachsam:

„Nichts Gefährlicheres für den Glauben als mit Gläubigen Umgang zu haben. Der Ungläubige kräftigt unseren Glauben.“

Was meint die Gestalt des „Reaktionärs“, über die Provokation hinaus, zum ersten ist es die Überzeugung, daß man zumindest gedanklich mit der erstickenden Gegenwart brechen kann, etwa indem man auf das blickt, was sie vergessen zu machen sucht

„Die Beklemmung angesichts des Untergangs der Zivilisation ist eine reaktionäre Betrübnis.
Der Demokrat kann nicht das Verschwinden von dem beklagen, was er nicht kennt.“
„Kultur hat jener Mensch, bei dem der Lärm der Lebenden nicht das Raunen der Toten verdrängt.“
„Ich gehöre nicht einer Welt an, die untergeht. Ich verlängere und übermittle eine Wahrheit, die nicht stirbt.“

Und es ist eine essentiell andere Art des Denkens, wir erinnern uns wieder an Heraklit?
„Der Glaube an den Fortschritt ist das Kind der Unkenntnis der Geschichte.“
„Das Universum ist nicht System, das heißt: logischer Zusammenhang. Sondern hierarchische Struktur von Paradoxen.“
„Der Mensch kann sich gegen die Inkohärenz des Universums nur mittels einer analogen Inkohärenz schützen.“
„Reaktionär sein heißt nicht an bestimmte Lösungen glauben, sondern ein scharfes Gespür für die Komplexität der Probleme zu haben.“

Nichts wäre ferner, als aus all dem zu schließen, er würde damit ein politisches Programm verbreiten wollen. Es geht um eine Lebenshaltung, besser, eine Überlebens-Haltung. Er will auch gerade nicht ein Gegen-System konstruieren, denn er ist aus den genannten Gründen mehr als skeptisch gegenüber diesen Konstrukten. Er entkleidet einfach die selbstgefällige Selbstgewißheit der Gegenwart ihrer falschen Selbstverständlichkeit, und er liefert seine überraschenden Einsichten in höchst geschliffenen Formulierungen:

„Die demokratische Gesellschaft begnügt sich selbst im besten Fall damit, das Zusammenleben zu sichern.“
„Die aristokratischen Gesellschaften dagegen errichten auf der menschlichen Scholle einen Palast von Zeremonien und Riten, um den Menschen zu erziehen.“ „Das Leben ist eine Werkstatt von Hierarchien. Allein der Tod ist Demokrat.“
„Die Zivilisation ist nicht eine endlose Folge von Erfindungen, sondern die Aufgabe, den Fortbestand gewisser Dinge zu sichern.“

„Wer nicht bereit ist, von Zeit zu Zeit seine Prinzipien zu verletzen, endet eher als Mörder denn als Märtyrer.“
„Nicht eine Restauration ersehnt der Reaktionär, sondern ein neues Wunder.“

Wenn man denn diesen Begriff verwenden will, emanzipiert er sich von der Gegenwart, oder besser, es ist eine Art transzendierendes Denken, und ein sehr freies Denken, das kein System braucht, nicht von ungefähr daher der aphoristische Stil. Übrigens gibt es von Jens Jessen einen immer noch lesenswerten Artikel in der „Zeit“ aus dem Jahre 2004: „Der letzte Reaktionär - Die Demokratie ist das Tabu des Westens.“ Und auch der Wikipedia-Artikel ist derzeit erstaunlich solide gearbeitet.

Seine Angriffslust hat mitunter etwas geradezu erheiterndes, mindestens aber aufmunterndes:

„Die wirklichen Probleme haben keine Lösung, sondern Geschichte.“
„Die Dummheit des Alters hält sich für Weisheit, die des Erwachsenen für Erfahrung und die der Jugend für genial.“
„Die Strafe dessen, der sich sucht, ist, daß er sich findet.“

Der Gedanke der Volkssouveränität ist ihm deshalb suspekt, weil er nur einen Souverän kennt, Gott. Und der Mensch ist eingebunden in eine Seinsordnung, auf die hin er sein Leben auszurichten hat, wenn er es nicht verfehlen will, darum:

„Die Zustimmung des Volkes ist ein Anzeichen der Legitimität, aber nicht ihre Ursache. In der Auseinandersetzung über die Legitimität der Macht zählen weder ihr Ursprung im Votum noch ihr Ursprung in der Gewalt. Legitim ist die Macht, die den Auftrag erfüllt, den ihr die vitalen und ethischen Erfordernisse einer Gesellschaft erteilen.“
„Die Mehrheit der Menschen hat kein Recht, ihre Meinung zu äußern, sondern zuzuhören.“

Und den Revolutionsromantikern entgegnet er scharf:
„Jede Revolution verschärft die Übelstände, gegen die sie ausbricht.“

„Demokratie“ ist für ihn ein Begriff des sich selbst ermächtigenden Menschen, dem im Grunde alles lästig ist, was er von außen auferlegt fühlt - Tradition, Institutionen, Konventionen, Religion… Und daher diese untergründige Tendenz, all dies, wenn nicht auszulöschen, dann doch wenigstens wirkungslos zu machen:

„Die Demokratie hat den Terror als Mittel und den Totalitarismus als Zweck.
Die linken Ideologien sind die Strategie, mit der das Kleinbürgertum sich der Welt bemächtigt hat.“
„Den Linken, der gleichermaßen gegen linke und gegen rechte Verbrechen protestiert, nennen seine Kameraden mit Recht reaktionär.“ Hingegen ist der Reaktionär der Wächter des Erbes. „Selbst des Erbes des Revolutionärs.“
„Der Haß auf die Vergangenheit ist ein eindeutiges Symptom einer Gesellschaft, die verpöbelt.“

Und noch ein paar sozusagen Scholien, mein Gott, welche Traurigkeit in diesem Begriff wohnt.

„Das Wesen der Oberflächlichkeit ist der Haß auf die Widersprüche des Lebens.“
„Die Einbildungskraft ist die Wahrnehmung dessen, was der gewöhnlichen Wahrnehmung entgeht.“
„Die Wahrheit mag den Ausschlag geben.
Aber nur der Stil rettet.“
„Das Wissen um persönliche Würde entspringt im Individuum aus dem Gefühl seiner Verschiedenheit.“
„Die Seele ohne Disziplin löst sich in einer larvenhaften Häßlichkeit auf.“
„Der Mensch gewöhnt sich mit entsetzlicher Leichtigkeit an die absolute Häßlichkeit und an das reine Böse.“

Vermutlich ist dies einer der Schlüssel dafür zu verstehen, was unsere Städte beängstigend oft derart häßlich gemacht hat, weil etwas in den Seelen der Erbauer dies ermöglichte. Sie wurden unerfahren im Schönen. Manche seiner Gedankengänge sind einfach atemberaubend:

„Die Seele ist nicht im Körper, sondern der Körper ist in ihr.
Aber wir ertasten sie im Körper.
Das Absolute ist nicht in der Geschichte, sondern die Geschichte in ihm.
Aber wir entdecken es in der Geschichte.“

Es liegt eine große Melancholie in seinen Worten, die Melancholie dessen, der zusieht wie Jahrhunderte, mit denen er wohl vertraut ist, ins Vergessen sinken, Jahrhunderte, gefüllt mit Erkenntnissen, Gewißheiten, Schönheit.

Denn

„Die Ideen blühen als siegreiche oder unterdrückte, aber verwelken als tolerierte.“

Doch

„Die Wahrheiten sterben nicht, doch sie welken zuweilen.“

Und

„Der Unglaube ist nicht Sünde, sondern Strafe.“

Heraklit hätte sich prächtig mit ihm verstanden.

Montag, 16. Mai 2011

Sonntag, 15. Mai 2011

Sonntag &

poorly translated

Ich war heute nicht nur grausam zu meinen geschätzten Lesern an diesem Ort, auch meine Frau Mutter mußte länger auf ihr Sonntags-Essen warten. Schuld war der 34. Internationale Museumstag, aber dazu später mehr, vielleicht.


Irgendwann hatten wir also am fortgeschrittenen Nachmittag das Folgende: Eine Rinderroulade mit einer Spinat-Käse-Füllung (diese bestand zusätzlich aus Schalotten, Knoblauch, Champignons, Thymian, etwas Rum, Limettensaft, Butter, geriebenem Käse, so in etwa). Wenn man bedenkt, daß sich die Stimmung meiner Frau Mutter merklich aufhellte, während sie, der Zubereitung assistierend, die bereits angeschmorte, aber überzählige Füllung aufaß, kann es so schlecht nicht gewesen sein, ach so, passend zur Jahreszeit Spargel. Ich muß anmerken, die Füllung hat am Ende an Geschmack eingebüßt, leider war unser Rindfleisch nicht so umwerfend und ein Fleisch, das kürzer zum gar werden braucht, wäre wahrscheinlich eher angebracht, wie auch immer. Der Garten übrigens erfreut zur Zeit.


Today I was not only cruel to my most valued readers on this site, even my mother had to wait a wee bit longer for her Sunday dinner. Blame the 34th International Museum Day, but more about that later, maybe. So we had in the late afternoon the following: A beef fillet with a spinach-cheese filling (this was also made from shallots, garlic, mushrooms, thyme, some rum, lime juice, butter, grated cheese, sort of). If I consider that the mood of my mother brightened noticeably while she was eating the spare filling assisting the preparation, it couldn’t be so bad; well the seasonal asparagus too. I must say, the filling has lost at the end some of its flavour, unfortunately, the beef wasn’t so overwhelming and maybe a meat that needs a shorter time to cook would be applied more likely, however. The garden enjoys at this time by the way.


Samstag, 14. Mai 2011

Über Kunst & die Farbe Blau

„Blaues Bild“ © Reinhard Graefe

Fabel

Die Erde sahe jüngst der Lüfte schönes Blau,
Mit einem kleinen Neid, halb eifersüchtig an,
Und sprach: stoltzire nur, mit deinem blauen Licht,
So übermüthig nicht,
Weil ich so wohl, als du, dergleichen zeigen kann.
Schau mein Ultramarin; betrachte, wie der Pfau
Im blauen Schimmer prangt; schau den Sapphir. Vor allen
Kann ich dir der Gentianellen

Fast blendend Blau entgegen stellen.

Ihr voller Glantz muß dir,

Trotz deiner blauen Zier,

Noch mehr, als du dir selbst gefallen kannst, gefallen.

Die Luft nahm diesen Hohn für kein Verhöhnen an;
Vielmehr besahe sie, vergnügt und sonder Neid,

Von diesem schönen Frühlings-Kinde,
Das dem Sapphir fast gleiche Kleid,
Und lispelte darauf gelinde

Der Erde diese Worte zu:


Ich sehe deinen Schmuck nicht sonder Freuden.
Warum besiehest du
Den meinen nicht auf gleiche Weise?

Laß uns doch, ohn' uns zu beneiden,


Uns, da wir alle beyde schön,
Mit Freud' und Anmuth, Dem zum Preise,
Der unser aller Quell und Ursprung ist, besehn!
Laß uns vielmehr uns in die Wette schmücken;

Damit, wenn Geister uns erblicken,

Die mit Verstand begabt, durch ein erstaunt Entzücken,

Sie in uns beyden GOTT, die Quell des Lichts, erhöhn.

Denn, sonder Glantz und Strahl Desselben Sonnen-Lichts,
Sind wir, nicht nur nicht schön; wir sind ein wircklich Nichts.

Laß deine schöne blaue Bluhme

Denn künftig, zu des Schöpfers Ruhme,
In einem blauen Feuer blühen:

Ich will, wie vor, zu seiner Ehr',

Und zwar noch immer mehr und mehr,
In meinem blauen Schimmer glühen.

Barthold Heinrich Brockes
Irdisches Vergnügen in Gott

An Barthold Heinrich Brockes habe ich schon mehrfach erinnert, zuletzt hier, also hat es mich gefreut, daß er kürzlich (genauer gesagt am 12. Mai, ich muß dazu sagen, dies wird einer der viel versprochenen Nachträge, tatsächlich ist heute, da ich dies zu Ende schreibe, bereits der 23.) in einer Veranstaltung der hiesigen Kunstsammlung auftauchte („Die Farbe Blau in Lyrik und bildender Kunst“).

So reizvoll es wäre, auf dieses und die anderen Gedichte einzugehen (sie waren übrigens von Rilke; Trakl und Keller, und den Text des „Irdischen Vergnügens“ kann man dort finden), so entspann sich an dem Abend eine Grundsatzdiskussion über Kunst in der Moderne, und darüber wollte ich dann doch noch ein wenig etwas konzentrierter etwas loswerden, zumal ich weiß, daß einige der dort anwesend Gewesenen dies hier lesen. Allen voran Reinhard Graefe, der Maler, von dem das obige Bild stammt und der meine Gedanken furchtbar finden wird.

Übrigens war Brockes, zu Lebzeiten durchaus populär, wenige Zeit nach seinem Tod, er starb 1747, bald vergessen, der Zeitgeschmack hatte sich mit dem Siegeszug der Aufklärung völlig geändert. Und darum paßt er auch so sinnbildhaft, denn am Endpunkt dieser Veränderung stehen wir heute:

Kunst darf alles. Alles ist Kunst. Und so weiter. Das sind diese mittlerweile etwas schal gewordenen „Provokationen“ der nun auch schon in die Jahre gekommenen „Moderne“, die nur noch solange wirken als etwas von dem ursprünglichen Begriff der Kunst spürbar übriggeblieben ist. Wenn alles irgendwie Kunst ist, warum dann den Begriff nicht einfach seinlassen, wo er doch jede Bestimmtheit verloren hat. Ebenso kann man dann sagen, ich mache „Rumps“.

Das war ein wenig polemisch, aber in der Tat, wenn wir auf die Sprache der Moderne blicken, stoßen wir ständig auf eine Haltung des Dagegen, immer muß etwas entgrenzt, überschritten, gebrochen, in Frage gestellt werden. Bis zur „kreativen Zerstörung“. Was aber, wenn alles verschwunden ist, gegen das man da anrennt, und sei es, daß es zwar physisch als Artefakt noch vorhanden, aber als Maßstab ausgelöscht ist?

Und bald haben wir dann dieses Wieselwort von der „Autonomie der Kunst“, und das wären welche Gesetze, die sich die Kunst da gerade schafft? Gut, ein Künstler muß nicht Rechenschaft über seine Grundsätze ablegen, es genügt, wenn seine Werke seine Haltung bezeugen. Aber wenn da nichts mehr ist? Wenn Freiheit der Kunst meint, daß sie von jeder Bestimmtheit frei geworden ist, versackt sie im Morast des unförmig Banalen.

Aber machen wir noch einmal einen Umweg mit der Frage: Was und wozu ist Kunst? Das mögliche Wozu mag uns zu dem Was führen:

Horaz schreibt in seiner "Ars Poetica":
"Aút prodésse volúnt aut delectáre poétae / aút simul ét iucúnda et idónea dícere vítae"
„Entweder nützen oder erfreuen wollen die Dichter oder zugleich sowohl Angenehmes als auch Passendes sagen."
„Erfreuen und Nützen“, eine berühmte Formel in der es um das Verhältnis zwischen dem Schönen auf der einen und dem Wahren und Guten auf der anderen Seite geht (oder Sinnlichkeit zu Sittlichkeit, von Schönheit zur Erkenntnis).

In der Aufklärung war man der Meinung, die Künste hätten in angenehmer Weise Vernunft und Moral, überhaupt das Nützliche zu befördern. Das klingt für uns etwas platt, aber etwa bei Johann Georg Sulzer (Allgemeine Theorie der Schönen Künste) liest es sich interessanter als gedacht, ich zitiere etwas länger, den ganzen Artikel kann man dort finden:

„Der, welcher diesen Künsten zuerst den Namen der schönen Künste gegeben hat, scheint eingesehen zu haben, daß ihr Wesen in der Einwebung des Angenehmen in das Nützliche, oder in Verschönerung der Dinge bestehe, die durch gemeine Kunst erfunden worden. In der That läßt sich ihr Ursprung am natürlichsten aus dem Hang, Dinge, die wir täglich brauchen, zu verschönern, begreifen. Man hat Gebäude gehabt, die blos nützlich waren, und eine Sprache zum nothdürftigen Gebrauche, ehe man daran dachte, jene durch Ordnung und Symmetrie, diese durch Wohlklang angenehmer zu machen.

Also hat ein, feineren Seelen angebohrner Trieb zu sanften Empfindungen, alle Künste veranlasset. Der Hirte, der zuerst seinem Stok, oder Becher eine schöne Form gegeben, oder Zierrathen daran geschnitzt hat, ist der Erfinder der Bildhauerey; und der Wilde, dem ein glüklicheres Genie eingegeben hat seine Hütte ordentlich einzurichten und ein schikliches Verhältniß der Theile daran zu beobachten, hat die Baukunst erfunden. Der sich zuerst bemühet hat, das, was er zu erzählen hatte, mit Ordnung und Annehmlichkeit zu sagen, ist unter seinem Volke der Urheber der Beredsamkeit.

In dieser Verschönerung aller dem Menschen nothwendiger Dinge, und nicht in einer unbestimmten Nachahmung der Natur, wie so vielfältig gelehret wird, ist also auch das Wesen der schönen Künste zu suchen.“

wird in ein paar Stunden fertiggeschrieben
~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
Nun, das mit den paar Stunden war etwas untertrieben, aber das Weiterschreiben geschieht jetzt (oje worauf habe ich mich da eingelassen), aber nur Abschnitt für Abschnitt:

Dem ist widersprochen worden; Schiller etwa meinte, wer in einen „ästhetischen Zustand“ gerate, würde zu sich selbst befreit, bekäme einen Begriff seiner Möglichkeiten; er würde seine "Menschheit" zurückgewinnen, denn "...die Schönheit gibt schlechterdings kein einzelnes Resultat weder für den Verstand noch für den Willen, sie führt keinen einzelnen, weder intellektuellen noch moralischen Zweck aus, sie findet keine einzige Wahrheit, hilft uns keine einzige Pflicht erfüllen und ist, mit einem Worte, gleich ungeschickt, den Charakter zu gründen und den Kopf aufzuklären." (Friedrich Schiller: Über die ästhetische Erziehung des Menschen)

Es ginge also um die Hebung des menschlichen Geistes im Allgemeinen, nicht um konkret Nützliches. Aber immerhin, der Mensch wird in seinem Mensch-Sein durch die Kunst bestärkt, das wäre doch auch nicht ganz wenig.



Wer Schinkel liebt, kennt dieses Bild und mag sich erinnern, an diesem Ort schon einmal Bilder eines nicht ausgeführten Entwurfs für ein Mausoleum für Königin Luise von ihm gesehen zu haben. Schinkel hatte dabei sehr genaue Vorstellungen von seinen Absichten:

"Man sollte sich in dieser Halle wohlbefinden, und jedem sollte sie zur Erbauung seines Gemüths offen stehen, – das wollte ich. Ein jeder sollte darin gestimmt werden, sich Bilder der Zukunft zu schaffen, durch welche sein Wesen erhöht, und er zum Streben nach Vollendung genöthigt würde."

Haben wir hier vielleicht unseren brauchbaren Begrifff von Kunst, der auf den ersten Blick dem Schiller‘schen so zu ähneln scheint?

Zumindest dürfen wir eines festhalten, wir finden bei Schinkel eine Kohärenz zwischen dem geäußerten Wollen und der Wirkung des von ihm Geschaffenen auf uns. Das ist nicht abzufordern, wie bereits erwähnt; nicht selten habe ich, nebenbei gesagt, den Eindruck, daß uns Künstler gern ein paar Brocken hinwerfen, um uns von ihren tatsächlichen Motiven abzulenken, bei dem einen könnte dies einfach Sprachlosigkeit sein, ein anderer mag sich genieren, vielleicht. Und dann mag es den Unterschied zwischen der Selbstreflexion und dem tatsächlichem Werk geben, das auch noch von uneingestandenen Voraussetzungen lebt. Wie auch immer.

Es gibt einen wunderbaren Satz bei Paulus, von dem her die Idee der natürlichen Theologie rührt:

„Denn was man von Gott weiß, ist ihnen offenbar; denn Gott hat es ihnen offenbart / damit daß Gottes unsichtbares Wesen, das ist seine ewige Kraft und Gottheit, wird ersehen, so man des wahrnimmt, an den Werken, nämlich an der Schöpfung der Welt; also daß sie keine Entschuldigung haben / dieweil sie wußten, daß ein Gott ist, und haben ihn nicht gepriesen als einen Gott noch ihm gedankt, sondern sind in ihrem Dichten eitel geworden, und ihr unverständiges Herz ist verfinstert. / Da sie sich für Weise hielten, sind sie zu Narren geworden / und haben verwandelt die Herrlichkeit des unvergänglichen Gottes in ein Bild gleich dem vergänglichen Menschen und der Vögel und der vierfüßigen und der kriechenden Tiere. / Darum hat sie auch Gott dahingegeben in ihrer Herzen Gelüste, in Unreinigkeit, zu schänden ihre eigenen Leiber an sich selbst.“
Römer 1,19ff

Wo ich dies zitiere, sehe ich einen anderen der vielen unfertigen Beiträge hier, der diesmal sogar überraschen könnte...

Paulus hatte mit Sicherheit seine Probleme, die zum Glück nur sehr teilweise die unseren sind. Aber da ich dies schreibe, stößt mir das „Uns“ sauer auf. Jeder Mensch neigt dazu, seine Umgebung, das Milieu, in dem er aufwächst, die Leute, über die er fast stolpert, deren Dichten, Treiben, Trachten erst einmal für „normal“ zu halten. Warum?

Wir dürfen nicht so tun, als ob unterschiedliche anthropologische Grund-Entscheidungen keine Auswirkungen hätten, denn dann wären diese und genauso wir selbst nicht ernst zu nehmen. Um es noch mal festzuhalten, ich sehe diesen „Konsens der Normalität“ nicht, auch, wenn das unhöflich erscheint.

Was dann? An der Gestalt Schinkels können wir zusehen, aus welcher Haltung Kunst entsteht. Selbstredend, nicht jeder muß wirken wollen wie er, und Haltung ist auch etwas, was sich der genauen Beschreibung eher entzieht, mehr spürbar wird, aber eben durchaus spürbar.

Und darum das Paulus-Zitat – die Welt ist lesbar! Der Mensch ist in eine auf Schönheit hin geordnete Welt hineingeschaffen. Von diesem Seins-Grund, der Quelle seiner Existenz kann er sich zu lösen suchen oder er kann aus ihr Leben wie Schönheit gewinnen. Wer Schönes schafft oder erkennt, gerät in Resonanz mit der Schönheit hinter den Dingen, dem Grund, aus dem diese Dinge sind.

Jede Kultur erhält sich durch Distinktionsfähigkeit, durch das Bemühen, sich über das Einfach-So-Sein erheben zu wollen, sie emanzipiert sich damit von ihren Bedingungen, sie transzendiert ihr geistiges Selbst, Verweigerung hier führt in den Sumpf des Asozialen!

Natürlich ist nicht die ganze Moderne Scharlatanerie, aber es gab vermutlich keine Zeit zuvor, wo es unter dem Etikett der Kunst soviel davon gab. Was ist ein Scharlatan? Nun jemand, der mutwillig ein Wissen über Dinge vortäuscht, über die er keines hat. Wenn es aber keine Maßstäbe mehr gibt, wie kann es dann noch Scharlatane geben?

Wann ist ein weißes Quadrat auf weißem Grund als Gemälde noch Kunst?

Die Aussage, Kunst entstehe im Betrachter, ist so originell wie vergleichbar: Naturgesetze entstünden durch Beobachtung. Wahr ist, sie werden beim Beobachten erkannt. Woher aber gewinnen wir den menschlichen Maßstab? Es gibt in der Kunst in diesem Sinne keine Gesetze, die für uns einfach einsehbar wären. Nun keine Gesetze, wohl aber Indizien. Diese muß man aber erst einmal als solche zu lesen verstehen.

Daß in der Art unterschiedlicher Sichtweisen etwas Subjektives liege, wird nur für den zum Problem, der glaubt, daß alles Subjektive wesentlich willkürlich sei. Der Einwand der Subjektivität wäre nur dann berechtigt, wenn das Subjektive von Natur her kontingent und darum nicht essentiell wäre. Es ist das Dilemma derjenigen, die nicht glauben können, daß der Grund allen Seins von verwandter Subjektivität ist.

Es gibt nicht nur Indizien, es gibt auch Regeln, bei deren Beachtung etwas Menschengemäßes entsteht. Das menschliche Auge gewinnt dem Zusammenwirken von Farben Bedeutungen ab, der Mensch erkennt in Dingen wie dem Goldenen Schnitt Harmonien. All dies korrespondiert mit dem Geistigen in uns, weil die Natur nicht geistlos ist. Daher das Paulus-Zitat.

Zurück zu Schinkel, wie ich bereits sagte, halte ich seine Haltung bei der uns beschäftigenden Frage für modellhaft. Um sie noch einmal näher zu beschreiben. Sie besteht in der Beachtung von Jahrhunderten von Kunstschaffen vor ihm, gründlicher Kenntnis, genauem Hinsehen, Respekt vor dem Überkommenen bei gleichzeitig größter innerer Freiheit in seiner Berücksichtigung, Ernsthaftigkeit, das Bemühen, einen Gedanken gültig Gestalt werden zu lassen. Nun mag man einwenden, wie kann dann jemand Kunst schaffen, der diese Traditionen nicht hat, sondern andere, weil er auf einer Südseeinsel lebt, oder gar keine, weil er unverschuldet wurzellos leben muß. Es geht um eine Haltung wie gesagt.

Ein Mensch, der behauptet, er würde sich völlig selbst erfinden, hat die Glaubwürdigkeit eines Münchhausens, der sich am eigenen Schopfe aus dem Sumpf zieht.

Wie antwortet bei Brockes der Himmel:
„Denn, sonder Glantz und Strahl Desselben Sonnen-Lichts /
Sind wir, nicht nur nicht schön; wir sind ein wircklich Nichts.“

Es gibt einen innere Schönheit der Seins-Ordnung, wer Schönheit schafft, dringt in das Geheimnis der Schöpfung ein und wird mit ihr vertraut, die menschliche Anstrengung führt diese Schöpfung sogar fort.

Sulzer hatte mit seiner Idee, es ginge um die Verschönerung der Dinge also nicht ganz unrecht, nur die Motive waren etwas kurzgedacht. Kultur ist eine in langer Dauer Gestalt gewordene Anstrengung von Generationen, wir stehen auf diesen Sedimenten des Bemühen, und es ist ein Teil der notwendigen Ernsthaftigkeit, dies sehen zu wollen.

Es geht nicht darum, einer schlaffen Laune nachzugeben, zu der man sich womöglich erst noch mit etwa chemischen Hilfsmitteln aufkitzeln mußte. Am Ende steht ein gotischer Dom oder eine Trümmerwüste, auf der jemand dahintaumelt, womöglich im Wahn es sei eine Art Ausdruckstanz.

Einen Begriff von Kunst konnte ich also nicht liefern, nur Indizien für eine notwendige Haltung. Und dieser Beitrag mäandert nun schon so lang vor sich hin, daß wir ihn auch beenden wollen. Nur eines noch:

Wenn Ideen, über die Jahrhunderte nachdachten, wie Erhabenheit und Schönheit keinen Platz in der vertrockneten Semantik der Moderne haben - beraubt dieser spezifische Analphabetismus ein Buch darüber seines Wertes. Nun es macht es für manche unbrauchbar, aber ist das ein Problem für das Buch?

Wenn Schönheit und Erhabenheit oder gar die Seele keine empirische Bedeutung haben und darum philosophisch irrelevant sind, dann muß jemand, wenn er bestimmte geistige Entscheidungen getroffen hat (und er befindet sich damit dann zweifelsohne auch im Mainstream der Moderne), zwangsläufig so denken.

Aber es steht uns frei, dem zu widersprechen und ihm die Relevanz zu verweigern. Und damit breche ich dann ab.

Freitag, 13. Mai 2011

Über Grüfte und andere Erinnerungen

Idealentwurf für ein Mausoleum der Königin Louise, Außenansicht, 1810
hier gefunden

Kleine Vorbemerkung, ausgerechnet Freitag den 13. hatte Blogger also beschlossen, endgültig in die Knie zu gehen, nachdem es schon vorher schwächelte; ich hatte die ganze Woche Mühe, etwas unterzubringen. Da ist man seine Schreibblockade endlich etwas los und dann blockiert das Trägermedium, auch lustig und zum Nachdenken anregend. Gut:

Am 12. Mai wurde im Merseburger Dom die dortige Fürstengruft der Mitglieder der wettinischen Sekundogenitur Sachsen-Merseburg wiedereingerichtet. Nun ist dies von uns etwas weiter entfernt und hat in der Geschichte unseres Vaterlandes auch nur überschaubare Spuren hinterlassen. Aber der Ministerpräsident des jetzigen Bundeslandes Sachsen-Anhalt, Herr Haseloff hat dem Ereignis ein Grußwort zugeeignet, das uns zufällig zur Kenntnis kam und aus dem wir zitieren wollen, weil wir es für ganz erfreulich halten. Die Bilder sind übrigens Entwürfe Schinkels für ein so nie errichtetes Mausoleum unserer guten Königin Luise.

„Es gehört zum einzigartigen Wesen der Kultur, dass sie gegen die Vergänglichkeit aufbegehrt und sich selbst noch im Tode ein schönes Denkmal zu setzen versucht. Wie in vielen anderen Bereichen hat es auch hier das Barock zu einer besonderen Hochform gebracht. Die Grablege der Secundogenitur von Sachsen-Merseburg ist das eindrucksvolle Zeugnis einer glanzvollen Blütezeit, und sie erschließt uns einen weiteren bedeutenden Bereich in der über 1.000-jährigen Geschichte, die sich mit diesem Dom verbindet.

Es ist beeindruckend und sehr zu loben, wie engagiert sich die Vereinigten Domstifter Merseburg und Naumburg und des Kollegiatstifts Zeitz um die Nutzung, den Erhalt und die Pflege dieser Orte bemühen. Sie leisten damit einen unvergleichlichen Beitrag zur weiteren Ausprägung des Charakters Sachsen-Anhalts als christlich geformtes Kulturland. Die Landesregierung fördert diese Anstrengungen nach Kräften und dankt auch allen anderen, die dieses Vorhaben unterstützt haben…. Ganz besonders die vielen Spenden … legen nahe, wie sehr dieses Restaurierungsvorhaben auch das Anliegen eines bürgerschaftlichen Gemeinwesens ist.

Die großen Erfolge in den denkmalpflegerischen Bemühungen machen besonders deutlich, wie gut sich unser Land entwickelt, und wie stark unsere Vergangenheit auch die Gegenwart prägt. Es ist in diesem Zusammenhang von besonderem Interesse, die Dinge nicht nur in ihrer Substanz, sondern auch im Hinblick auf ihre Bedeutung zu erhalten. Darum ist es gut, wenn an diesem Ort durch Führungen, Vorträge und andere Veranstaltungen der Umgang mit Tod und Sterben, dem sich unsere Gegenwart so gerne entzieht, thematisiert und den Menschen gerade wieder im christlichen Kontext erschlossen wird.

Die Sterblichkeit gehört zu den ganz prägenden Eigenschaften des Menschen und des Lebens selbst. Sie hat unsere Kultur in vielfältigster Weise beeinflusst und sich auf Friedhöfen und in den Grüften ihre eigenen Räume geschaffen, in denen Menschen lernen können, welche Bedeutung die Totenruhe hat, und wie wir dem Vergangenen mit Respekt und Achtung entgegentreten können. Es wird dadurch eine außerordentlich authentische Erinnerungskultur gepflegt, die ein unlöslicher Teil hoher Zivilisation ist.

Die Vereinigten Domstifter erfüllen auch darin eine ihrer wesentlichen Aufgaben als Bewahrer und Vermittler unsrer europäischen Kultur vorbildlich. Das Land Sachsen-Anhalt wird sie als verlässlicher Partner auch künftig unterstützen und wünscht ihnen bei der Erfüllung ihrer Pflichten Verantwortungsgefühl und Gottes Segen.“

Idealentwurf für ein Mausoleum der Königin Louise, Innenansicht, 1810
hier gefunden

Mittwoch, 11. Mai 2011

Lebenszeichen, unterhaltsam

Portrait: Karl Friedrich Hieronymus Freiherr von Münchhausen
hier gefunden

Ich weiß, daß es manchmal den einen oder anderen hierher verirrt, weil er hofft, etwas Unterhaltsames aufzufinden, nicht daß ich dafür bisher hinreichend Anlässe geliefert hätte, aber es macht doch ein schlechtes Gewissen mitunter. Hieronymus Carl Friedrich Freiherr von Münchhausen, der Anlaß der Geschichten vom „Lügen-Baron“ Münchhausen wurde am 11. Mai 1720 geboren. Der Blogger Jay hat in gewohnter Weise unterhaltsam über ihn geschrieben, und da dieses hier eher unterhalten soll, als meiner Selbstdarstellung dienen, verweise ich sehr gern auf ihn.



In der Sammlung von Gottfried August Bürger findet sich diese hübsche Passage, das übrige kann man hier nachlesen:

„So leicht und fertig ich im Springen war, so war es auch mein Pferd. Weder Graben noch Zäune hielten mich jemals ab, überall den geradesten Weg zu reiten. Einst setzte ich darauf hinter einem Hasen her, der queerfeldein über die Heerstraße lief. Eine Kutsche mit zwey schönen Damen fuhr diesen Weg gerade zwischen mir und dem Hasen vorbey. Mein Gaul setzte so schnell und ohne Anstoß mitten durch die Kutsche hindurch, wovon die Fenster aufgezogen waren, daß ich kaum Zeit hatte, meinen Huth abzuziehen, und die Damen wegen dieser Freyheit unterthänigst um Verzeihung zu bitten.

Ein andres Mal wollte ich über einen Morast setzen, der mir anfänglich nicht so breit vorkam, als ich ihn fand, da ich mitten im Sprunge war. Schwebend in der Luft wendete ich daher wieder um, wo ich hergekommen war, um einen größern Anlauf zu nehmen. Gleichwohl sprang ich auch zum zweytenmale noch zu kurz, und fiel nicht weit vom andern Ufer bis an den Hals in den Morast. Hier hätte ich ohnfehlbar umkommen müssen, wenn nicht die Stärke meines eigenen Armes mich an meinem eigenen Haarzopfe, samt dem Pferde, welches ich fest zwischen meine Kniee schloß, wieder herausgezogen hätte.“

Theodor Hosemann
Münchhausen zieht sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf
hier gefunden

Eine der sprichwörtlich gewordenen Geschichten. Und manchmal wünschte man sich wohl im übertragenen Sinne, dieses wäre tatsächlich möglich. Der Ritt auf der Kanonenkugel ist dann ja später zur Varieté-Nummer geworden. Wie wir kürzlich lesen mußten, geht das allerdings nicht immer glücklich für den Artisten aus. Und zur Illustration geben wir noch Herrn Albers dazu.


Montag, 9. Mai 2011

Dies & Das


Anton von Werner: Enthüllung des Richard-Wagner-Denkmals im Tiergarten, 1908

Da hatten wir gestern den schönen Gedanken von der Menschwerdung Gottes und heute brachte mich Herr Roloff dazu, etwas im 5. Buch Mose zu lesen. Und ist schon merkwürdig zuzusehen, wie das Göttliche in der Bibel langsam Gestalt gewinnt. In Kapitel 6 finden wir etwa die Verse 4 und 5, die zum Beginn des Glaubensbekenntnisses Israels wurden, dem berühmten „Schma Jisrael

„Höre, Israel, der HERR ist unser Gott, der HERR allein. Und du sollst den HERRN, deinen Gott, lieb haben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all deiner Kraft.“

Dann wieder stoßen wir auf Stellen, die das Entstehen einer feineren Gesittung andeuten, so in Kapitel 24, Vers 19:

„Wenn du auf deinem Acker geerntet und eine Garbe vergessen hast auf dem Acker, so sollst du nicht umkehren, dieselbe zu holen, sondern sie soll des Fremdlings, des Waisen und der Witwe sein, auf daß dich der HERR, dein Gott, segne in allen Werken deiner Hände.“

Doch schon ein Kapitel weiter stoßen wir auf den größten Quark (Vers 11f.) : „Wenn zwei Männer miteinander hadern und des einen Weib läuft zu, daß sie ihren Mann errette von der Hand dessen, der ihn schlägt, und streckt ihre Hand aus und ergreift ihn bei seiner Scham, so sollst du ihr die Hand abhauen, und dein Auge soll sie nicht verschonen.“

Und spätestens dann wird deutlich, warum wir zwar in der Bibel Gott finden können und dürfen, aber sehr oft eben auch Spuren menschlicher Abirrungen bemerken müssen. Eine schwierige Geschichte.



José Ortega y Gasset, einer meiner Lieblingsdenker, wurde am 9. Mai 1883 geboren. Ich habe immer wieder gern einmal mit einem Zitat an ihn erinnert, etwa hier und hier. Und Ostern vergangenen Jahres gab es etwas mehr, nämlich aus seiner bemerkenswerten kleinen Schrift: "Um einen Goethe von innen bittend". Aber ganz ohne ihn neu zu zitieren, wollen wir es dann doch nicht ausgehen lassen - aus „Der Aufstand der Massen“:

„Der Massenmensch hätte niemals an etwas außerhalb seiner appelliert, wenn ihn die Umstände nicht mit Gewalt dazu gezwungen hätten. Da die Umstände ihn heute nicht mehr zwingen, verzichtet er, in Einklang mit seiner Anlage, auf jede Befragung und fühlt sich als Herr seines Lebens. Den auserlesenen oder hervorragenden Menschen dagegen kennzeichnet die innere Notwendigkeit, von sich fort zu einer höheren objektiven Norm aufzublicken, in deren Dienst er sich freiwillig stellt. Man erinnere sich, wie wir im Anfang den edlen Menschen von dem gemeinen unterschieden, indem wir sagten, daß jener viel von sich verlangt und dieser, von sich selbst entzückt, sich mit dem begnügt, was er ist.“ Dem großen Einzelnen sei sein Leben schal, „wenn er es nicht im Dienst für etwas Höheres verbraucht“. Wir dürfen anfügen, daß der Massenmensch bezweifeln wird, daß es dieses Höhere überhaupt gibt. Und weiter sagt Ortega y Gasset: „Adel erkennt man am Anspruch an sich selbst, an den Verpflichtungen, nicht an den Rechten.“

Jemand, der mir ebenfalls nicht ganz unsympathisch ist, ist der Maler Anton von Werner, der wurde am 9. Mai 1843 geboren, aber zum Glück sind mir schon einmal ein paar freundliche Bemerkungen zu ihm eingefallen, zu finden, so man dem ersten Link folgen will.

Und da Dieterich Buxtehude am 9. Mai 1707 starb, gab es noch dieses Stück von ihm.

Sonntag, 8. Mai 2011

Sonntag &

poorly translated

Ich bin ein wenig abwesend heute, darum nur ein kurzer Bericht des Üblichen. Wir hatten gefüllte Putenbrust (die Füllung bestand vor allem aus Champignons mit Zwiebeln und Knoblauch), dazu noch einmal Champignons, sozusagen als Gemüse. Aber dies mag wenigstens unterhaltsam erscheinen: Meine Frau Mutter machte kürzlich großen Lärm in ihrem Schlafzimmer. In einem der von ihr kaum noch benutzten Bücherregale hatten sich Wespen ein formidables Nest gebaut, und ihr fiel dann doch auf, daß die Wespen so bestimmt durch das leicht geöffnete Fenster zu dem gewissen Regal flogen, und ihre Vermutung, daß dies nicht irgendeinem Bildungshunger geschuldet war, bestätigte sich schnell. So hatten wir also als Folge viel Lärm und einige heimatlose Wespen


I'm a little absent today, so only a brief report about the usually. We had stuffed turkey breast (the filling consisted mainly of mushrooms with onions and garlic), served with mushrooms again, as the vegetable so to speak. But this may appear entertaining: My elderly mother recently made big noise from her bedroom in the morning. In one of her hardly used bookshelves wasps built a formidable nest, and she recognised that the wasps flew so certainly through the slightly open window to a certain shelve, and her presumption that this wasn’t owed to any hunger for education was confirmed quickly. So we had some noise as a result and some homeless wasps too.


Misericordias Domini



Herr Roloff erwies mir den Gefallen, mir seine Predigt zum heutigen Sonntag Misericordias Domini zuzusenden. Dafür bin ich insbesondere aus zwei Gründen dankbar: Zum einen enthebt es mich der Pflicht, etwas zum heutigen Datum anzumerken, zum anderen fand ich in ihr einen bemerkenswerten Gedanken, den ich vorher noch nirgends gefunden hatte.

Bekanntlich verändert sich das Bild von Gott in der Bibel. Christen sehen sich daher schnell dem Einwurf ausgesetzt, dies sei doch ein offenkundiger Hinweis, wie sehr hier alles menschliche Projektion sei. Herr Roloff nun wendet die Perspektive und sagt, dieses Sich-verändern begleite die Menschwerdung Gottes. Oder mit meinen Worten, Gott nähert sich der menschlichen Natur an und verändert dabei zugleich diese und sich, faszinierend. Begleitet wird unser Text übrigens von Bildern, die einige Jahre zurückliegen.



Hes 34, 1-16.31

Der Friede des Auferstandenen sei alle Zeit mit euch!

Liebe Gemeinde,

der heutige Predigttext gibt uns die Gelegenheit zur Auseinandersetzung mit einem der „Großen Propheten“ des Alten Testaments. Jesaja, Jeremia, Daniel und Hesekiel stehen in ihrer Vierzahl in einer gewissen Weise den vier Evangelisten des Neuen Testaments gegenüber. Hesekiel oder Ezechiel, wie er manchmal genannt wird, lebte im 6. vorchristlichen Jahrhundert, war Priester und gehörte zu den ersten Judäern, die nach der Eroberung Jerusalems und der Gefangennahme des Königs Jojachins in das Exil nach Babylon verschleppt wurden.

Es hat sich nun so gefügt, dass wir dieses Gedenken heute am 8. Mai begehen, dem Tag, an dem in Europa vor 66 Jahren der zweite Weltkrieg endete. Alle, die das erlebt haben, besitzen eine unauslöschliche Vorstellung davon, was Eroberung und Zerstörung und der anschließende Verlust der Heimat bedeuten. So erging es auch den Judäern, deren Prophet Hesekiel im Exil an den Wassern Babels geworden ist.

Mit machtvollen Worten geißelt er zunächst die „Götzenanbetung“ und die zahllosen Sünden seiner Landsleute, die nach seiner Überzeugung der tiefere Grund für die Niederlage und die Gefangenschaft waren.

Ist es nicht bedrückend, wie deutlich uns inzwischen die Tatsache gegenüber getreten ist, dass das zutiefst Abgründige und eigentlich Böse des nationalsozialistischen Regimes in seinem Heidentum und in seiner Götzenanbetung gelegen hat?

Es war den Judäern der Zeit Hesekiels nicht verständlich, dass sie ausgerechnet durch die Babylonier, die sie für Heiden hielten, geschlagen und letztlich vernichtet wurden. Jerusalem und der Tempel gingen unter, und die Spötter Jahwes triumphierten.

Ähnlich unbegreiflich war es vielen Deutschen nach 1945, dass nun ausgerechnet der Bolschewismus große Teile des alten christlichen Europas unter seine Herrschaft nahm und ganz und gar ungehemmt das im Krieg begonnene Zerstörungswerk langsam aber stetig vollendete.

Immer aber hat sich Gott in der Geschichte nicht als ein Herr über das eine oder das andere Volk erwiesen, sondern als Herr aller Reiche und Nationen. Darum steht nun auch weiter zu erwarten, dass der wahre Glaube an diesen einen Herrn uns aus dem Verwesungsgeruch der Ideologien, der noch immer über unserem Kontinent liegt, herausführt, und uns zur wirklichen vollkommenen Freiheit befreit, wie sie auch Hesekiel in der Gefangenschaft in Babylon erhofft und voraussagt, und wie sie nur in der Wahrheit dauerhaft gefunden und gegründet werden kann.

Ein bemerkenswertes Charakteristikum der Verkündigung Hesekiels ist in diesem Zusammenhang die innere Entwicklung, die Gott nimmt. Gott berichtigt sich und seine Gesetze, passt sie scheinbar einer neuen Zeit an.

Es heißt nun: „Ein Sohn soll nicht die Schuld des Vaters, noch ein Vater die Schuld des Sohnes mittragen. Nur dem Gerechten kommt seine Gerechtigkeit zugute, und nur über den Gottlosen kommt seine Gottlosigkeit.“ Hes 18, 20.

Auch bekommt die Heilsverkündigung ein humanistisches Ziel, wenn Gott spricht: „Habe ich etwa Wohlgefallen am Tode der Gottlosen und nicht vielmehr daran, dass er sich von seinem Wandel bekehre und am Leben bleibe?“ Hes 18, 23

Ja, Gott selbst räumt tatsächlich Fehler ein: „So habe denn auch ich Satzungen gegeben, die nicht gut waren, und Gebote, durch die sie nicht am Leben bleiben konnten. Ich ließ sie unrein werden durch ihre Opfergaben, indem sie alle Erstgeburt durchs Feuer gehen ließen; ich wollte ihnen Entsetzen einjagen, auf dass sie erkennen, dass ich der Herr bin.“ Hes 20, 25-26

Die Spötter und Verächter der Religion haben das oft zum Anlass genommen, um den Nachweis davon zu führen, dass Gott ein auf menschlicher Grundlage ausgedachtes und nur abgebildetes Wesen ist. Für sie war ein Gott, der sich verändert, der sich weiterentwickelt, kein Gott mehr. Die Spötter und Verächter aller Zeiten wissen merkwürdiger Weise immer besser, wie Gott ist oder wenigstens, wie er sein müsste, um denjenigen hohen Ansprüchen zu genügen, die sie aufrichten, die doch nicht an ihn glauben.

Ich aber bin der festen Meinung, dass sich in diesen Prophetien Hesekiels eine Art Vermenschlichung Gottes ausdrückt, die in ihrem Kern ein früher Hinweis auf die Menschwerdung Gottes ist. Die Menschwerdung Gottes ist ein so umwälzendes Ereignis, dass sie Propheten in ihren Ahnungen schon lange erreicht hatte, bevor sie ganz offenbar wurde.



Dieser machtvolle und einzigartige Mann Hesekiel ist es nun, der uns unser Predigtwort zum Hirtensonntag „Misericordias Domini“ liefert.

Es ist eines der immer aktuellen Worte der Bibel, weil es sich an alle richtet, die Macht haben im Staat und in der Kirche, und die damit nach christlichem Verständnis das Hirtenamt ausüben, und die all ihr Tun ganz und gar auf das Wohl der Herde ausrichten sollen. Es liegt mir ganz fern, diese Sätze nun vordergründig zu popularisieren. Jeder soll sich seine eigenen Bilder vor Augen rufen und damit die Hirten der Gegenwart richten.

Ich will nur das wiederholen, was ich schon häufiger gesagt habe, und wovon ich überzeugt bin: Man kann als Mensch die Welt zum Guten nur verändern durch das Beispiel das man ihr gibt. Der Hirte ist dazu bestimmt, der Herde voranzugehen. Die Herde ist nicht der Schauplatz seiner eitlen Bedeutung.

Es ist Aufgabe des Hirten, die Einheit und den Zusammenhalt der Herde zu wahren. Es ist nicht gut, dass stets und überall sich Vereinzelungen, Parteien und Interessengruppen bilden, die gegeneinander streiten. Entscheidender ist immer, dass uns sichtbar und auch spürbar bleibt, was uns miteinander verbindet.

Zwei Motive sind für die Vorstellung vom Hirten und von der Herde maßgeblich.

1. Der Hirt hat keine Autorität aus sich selbst. Er ist Sachwalter desjenigen, dem die Schafe gehören. Er ist ihm verantwortlich. Er hat seinem Wort gehorsam zu sein, soll das Schwache stärken, die Kranken heilen, das Verwundete verbinden, das Verirrte zurückholen, das Verlorene suchen, was aber stark und fett ist soll er behüten und so die Herde weiden, wie es recht ist. In diesen 2.600 Jahre alten Worten ist alles ausgebreitet, was zu einem sozialen Gemeinwesen notwendig gehört und auch heute unter uns vollkommen unstrittig sein sollte.

2. Das Bild des Hirten und der Herde geht aber noch weit über die beinahe nur „landwirtschaftlich“ gedachten Zusammenhänge heraus. Vor dem Hintergrund der Erfahrungen Hesekiels und unserer Erfahrungen, die sich mit dem 8. Mai 1945 verbinden, soll immer wieder daran erinnert werden, dass es Aufgabe aller Hirten ist, den Frieden zu wahren und die Herde behütet durch diese Welt zu führen und letztlich dem entgegen, der der eigentliche und ewige Hirte ist. Ohne den Glauben an den einen Guten Hirten gibt es gar keine guten Hirten, es gibt auch das Amt des Hirten nicht mehr. Ohne den Glauben an den einen Guten Hirten löst sich die Herde auf, verirrt sich, wird zerstreut. Die fortdauernde Zerstreuung des Volkes Israel in der Welt ist der eindrücklichste Beleg für die Folgen aus dem Fehlen dieses Glaubens.

Das Amt des Hirten im Staat und besonders natürlich in der Kirche hat nur dann einen wirklichen Gemeinschaft stiftenden Sinn, wenn es ein klarer Hinweis auf den Ewigen Hirten ist, der gesprochen hat: „Ja, ihr sollt meine Herde sein, die Herde meiner Weide, und ich will euer Gott sein, spricht Gott der Herr.“

Amen

Der Friede des Auferstandenen, welcher höher ist als alle unsere Vernunft, sei mit euch allen.

Amen
Thomas Roloff