Dienstag, 5. Oktober 2010

Über das Wiederfinden von Bedeutsamem


Ich habe es immer noch nicht geschafft, das Buch namens „Blankow oder das Verlangen nach Heimat“ zu lesen (wie so oft wird dieser Beitrag mit Verspätung geschrieben, am 7. Oktober nämlich), aber am 5. Oktober durfte ich Pauline de Bok in einer Lesung erleben (sie ist die diesjährige Annalise-Wagner-Preisträgerin) und war beeindruckt von dieser wachen und herzensweisen Frau. Sie hatte sich in ein kleines mecklenburgisches Vorwerk begeben, eine Ansammlung weniger Häuser, um über dessen Bewohner und die Geschichte des Ortes zu schreiben, vorsichtig, tastend. Sie fühlt sich wie ein Eindringling.“Ich störe das planlose Dasein der Dinge. Ich gebe ihnen ihren Sinn, ich fülle den Raum mit Absichten.“

Und vorher: „Ganz kurz erhasche ich einen Hauch von ihrem Dasein ohne mich, von ihrem An-sich-sein, etwas was ein Mensch nicht kann.“ Ich gestehe, auch ich war infiziert von der Frage, wie kann unter banalen Umständen ein entlegener Ort Anlaß für bedeutende Literatur sein. Aber:
„Jeder lebt sein eigenes Blankow.“
„Jeden Tag werden Menschen verstümmelt, und sie geben das weiter an ihre Kinder und Kindeskinder.“

Was mich, neben anderem, so sehr beeindruckte, war die unprätentiöse und gleichzeitig nie flache, sondern wohlüberlegte Sprache, etwa, wenn sie davon spricht, daß der Mensch auch lernen müsse, sich in Ruhe zu lassen, denn „das Bewußtsein ist eine Bürde“, und wir brauchten das Gedächtnis zum Überleben, nicht wegen der Wahrheit, und so gehöre zum Erinnern das Vergessen, anders könnten wir nicht überleben

Was ich wiedergebe, wie gesagt, sind immer noch die Eindrücke aus der Lesung, und so war es für mich, als lese sie in den Spuren einer halb aufgegebenen Landschaft und den ebenso halb verwischten Spuren des nahezu vergessenen Lebens seiner Bewohner, von deren Versuchen, eine Heimat zu finden in den Strudeln der Zeit. Welch vergebliches Unterfangen - wie lebt man weiter, wenn man immer wieder hilflos überrollt wird von den Umwälzungen der Verhältnisse, die hier so regelmäßig stattfanden wie Unwetter.

Es ist unglaublich, wie es ihr gelang, die Menschen dort zum Reden zu bringen, es kann nicht nur daran gelegen haben, daß sie Holländerin ist, obwohl sie auf Nachfrage meinte, doch es hätte sehr geholfen, daß sie keine Westdeutsche sei. Und vielleicht bin ich nach dem Lesen des Buchs ja völlig entsetzt, aber ich glaube das eher nicht (dafür spricht etwa diese Rezension), es wird hier also irgendwann nach der Lektüre eine Fortsetzung geben, ich werde darauf hinweisen.


Ach übrigens zu den Bildern, das oben ist eine „Gloria Dei“, die ich im letzten Abendlicht nicht anblitzen wollte, daher ist das Bild so verwaschen, am nächsten Abend war sie dann leider schon halb verblüht, und unten habe ich etwas mit einer Blechdose herumexperimentiert, die sich zufällig im Hause fand.

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