Kaum ist man mal in eine Phase geistiger Trägheit eingetreten, schon wird man lobend erwähnt. Nett. Zum Glück galt das Lob aber eher dem geschätzten Prof. Aue und seiner Übersetzung von Blakes „The Tyger“ (man sehe bitte auch hier unter Blake nach). William Blake wurde am 28. November 1757 geboren. Ein höchst eigenwilliger Mann, Maler, Kupfer-Stecher, Visionär, Poet, religiöser Autor, Erfinder von Mythologien… Jemand, der sich dem begrifflichen Zugriff entschieden entzieht.
Das beginnt schon damit, daß man bei diesem Künstler, dessen Bilder derart von religiösen Motiven erfüllt sind (Dante, Buch Hiob, Apokalypse, Evangelien), kaum sagen kann, ob er nun eigentlich Christ oder Gnostiker oder Neuplatoniker war. Er mochte keine Institutionen, das immerhin ist sicher, und besaß eine überbordende Phantasie. Ich habe mich schon gelegentlich an ihm abgemüht (etwa hier). Noch kurz zu dem oben verlinkten Blog „silvae“ - das Video, eine Vertonung besagten Gedichts von John Taverner, habe ich neben anderem Unterhaltsamen, ebenfalls auf ihm gefunden.
Doch noch etwas Biographisches. Blake war Schüler von Basire, wurde beeinflußt von Mortimer, Barry, Flaxman, vor allem aber Füßli. Die Wertschätzung seines Werkes schwankte, 1827 starb er als verarmter „Sonderling“, zumindest sahen ihnen seine Zeitgenossen so. An vergangenen Malern galten ihm nur Raffael, Michelangelo und Dürer etwas. Zuerst noch konnte er sich für die Antike erwärmen, was man seinem Werk auch ansieht, später blieb nur für ihn die Gotik gültig („Grecian is Mathematic Form“, „Gothic is Living Form“).
Zu seinen bekanntesten Schöpfungen gehören die Radierungen zu Youngs „Night thoughts“ und zu seinen eigenen „Songs of innocence and experience“, an späten Werken sind besonders erwähnenswert die Illustrationen zum Buch Hiob und zu Dantes „Göttlicher Komödie“, der Höhepunkt ist vermutlich „Jerusalem“, in dem er sein eigenes Weltbild noch einmal zusammenfaßt. Man muß vielleicht einschränken, daß seine Randständigkeit eher zur Gesellschaft galt. Denn er hat auch in seinen letzten Lebensjahren noch andere, jüngere Künstler beindruckt und beinflußt (Linnell, Palmer, Calvert etwa), später schätzten ihn dann die Präraffeliten (Rossetti) und im 20 Jahrhundert wurde er dann zu einem verblüffend erfolgreich Idol der Popkultur. Und die Nation, die ihn nicht schätzte, hat sich von ihm ihre inoffizielle Hymne schreiben lassen. Seltsam.
Dieses Bild dort unten ist musterhaft, um zu zeigen, wie sehr Blake seine Rätsel liebt. Man nennt es „Nymphengrotte“, „Kreis des Lebens“ oder auch „Meer von Zeit und Raum“. Wirft Odysseus den Schleier ins Meer zurück, den ihm die Meeresgöttin Leukothea gegeben hatte, damit er die Fluten überwinden und sich so retten konnte und neben ihm stünde Athene? Oder ist es eine Illustration zu „De antro nympharum“ des Porphyrios (folglich die Höhle der Nymphen in Ithaca und ein Sinnbild des Abstiegs der Seele in die materielle Welt, dann würde die Gruppe von Frauen mit Weberschiffchen die Gewänder des sterblichen Lebens wirken, die Frauengestalt scheinbar mit Stricken an den Handgelenken wäre eine Seele, die eingekleidet würde, die besinnungslos am Ufer liegende Gestalt auf ihre Einkleidung warten und die parzengleichen Figuren ihr gegenüber schnitten den Lebensfaden wieder ab)?
Ist es die Woge des Materiellen, in die sich der Mensch gerade zu verlieren scheint, seine Seele aber weist nach oben, um ihm zu zeigen, wohin er sich zu wenden habe? Ist es der Kreis des Lebens mit Bildern von einem schlafenden Schöpfer, der Liebe (das liegende Paar), der Religion (ein Tempel), der Arbeit (webende Frauengestalten, vielleicht Nymphen), der Sünde (die ertrinkende Gestalt)? Und der Tod in Gestalt dieser Frauen zerschneidet das Gewebe des Lebens?
Blake will den Menschen aus der Dämonie des Materiellen reißen und in die Ewigkeit führen. Gott schuf nicht nur den Körper, sondern auch die Phantasie des Menschen nach seinem Ebenbild, so also „existiert alles in der Phantasie des Menschen“ (Jerusalem). Die irdische Welt ist ihm dabei nur bedingt hilfreich, er lebt im Geistigen, in der Welt der Ideen. „Die Natur lehrt uns nicht das Leben des Geistes, sie lehrt uns einzig das Leben der Natur“. Seine Leitgestalten dabei - Christus (ein sehr eigen interpretierter), dessen Inkarnation, Opfertod, Brüderlichkeit, Vergebung, Hingabe und der Heilige Geist, der „die Göttlichkeit im Menschen ist und der Genius jeder Individualität“ (Jerusalem). Das Leben ein geistiger Kampf, um zurück nach Eden zu gelangen. Das Jüngste Gericht, eine Reinigung der Menschen vom Bösen, um in die Ewigkeit zurückkehren zu können. Und „der unvergängliche Leib des Menschen ist die Phantasie“.
To see a world in a grain of sand / And a heaven in a wild flower,
Hold infinity in the palm of your hand / and eternity in an hour.
beendet am 29. November