Sonntag, 9. Oktober 2011

Sonntag


Da waren wir wohl etwas voreilig. Ich bin eben dabei, eine Predigt des Herrn Roloff hier einzustellen, die er heute gehalten hat. Eigentlich sollten seit gestern ebenfalls ein paar trübsinnige Herbstgedanken zu finden sein, aber sie wurden nicht fertig und heute ist das wunderbarste Wetter…

Altötting, Panorama Kreuzigung Christi
hier gefunden

Predigt 16. Sonntag nach Trinitatis 2011


Klagelieder 3, 22-26.31-32

Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserm Vater und unserm Herrn Jesus Christus. Amen

Liebe Gemeinde,

wer das Weinen verlernt hat, der lernt es wieder beim Untergang Dresdens. Dieser Satz von Gerhard Hauptmann gibt uns eine Vorstellung davon, was das Volk Israel empfunden hat, als im Jahre 587 Jerusalem unter dem Ansturm der Babylonier zerstört wurde. Es fiel weit mehr als eine Stadt, es fiel die Ordnung der Welt in Trümmern. Der aus Zedernholz errichtete Tempel, die Paläste der Könige, die ganze Stadt brannten nieder, das Volk wurde in großen Teilen verschleppt, die Zeit stand still.

In dieser Situation setzte Jeremia sich nieder und schreibt seine Klagelieder, die mit dem schwermütigen Satz anheben: Wie liegt die Stadt so leer, die voll Volks war! , und aus denen uns heute Verse zur Predigt aufgegeben sind.

Die Güte des HERRN ist's, daß wir nicht gar aus sind; seine Barmherzigkeit hat noch kein Ende, sondern sie ist alle Morgen neu, und deine Treue ist groß. Der HERR ist mein Teil, spricht meine Seele; darum will ich auf ihn hoffen. Denn der HERR ist freundlich dem, der auf ihn harrt, und der Seele, die nach ihm fragt. Es ist ein köstlich Ding, geduldig sein und auf die Hilfe des HERRN hoffen. Es ist ein köstlich Ding einem Mann, daß er das Joch in seiner Jugend trage.

Denn der HERR verstößt nicht ewiglich; sondern er betrübt wohl, und erbarmt sich wieder nach seiner großen Güte.

Es überrascht zunächst vielleicht, dass dieser Abschnitt dem Evangelium von der Auferweckung des Lazarus zugeordnet ist. Kann man aber nicht die Trauer der liebenden Schwester des Lazarus ähnlich beschreiben, wie diejenige, die ein ganzes Volk nach dem Untergang seines Landes empfunden hat?

Vier Tage war Lazarus bereits tot. Freunde waren zu den Schwestern gekommen, wollten sie trösten und klagten mit ihnen. Klageweiber sind eine auch heute noch verbreitete orientalische Sitte. Je größer die Klage, desto bedeutender war der Verstorbene. Und dennoch, die Klage bleibt die menschliche Weise, sich in etwas zu schicken, was nicht mehr zu ändern ist. Der Mensch ergibt sich in den Tod. Er klagt und weint. Er blickt zurück und weiß, was ihn mit dem Toten verbindet ist nach menschlichem Ermessen nur noch der Umstand, auch selbst sterben zu müssen.

Jerusalem war zerstört und die Ordnung der Welt lag in Trümmern.

Es ist dann einem Menschen schwer, überhaupt wahrzunehmen, selbst noch am Leben zu sein. Wer wirklich geliebt hat, der sinkt zunächst ganz mit dem Geliebten ins Grab hinein. Immer sterben Liebende miteinander. So ist auch Jeremia mit seiner Stadt, mit dem Tempel gestorben, und nur schleichend, ganz still dringt ihm dann zu Bewusstsein, dass er noch lebt. „Die Güte des Herrn ist´s, dass wir nicht gar aus sind,“

In dieser Situation die Güte Gottes überhaupt wahrnehmen zu können, ist beeindruckend. Werden nicht viele Menschen, die den Untergang Dresdens erlebten es vielleicht ganz zynisch gefunden haben, dass über der brennenden Stadt die Wintersonne wieder aufging, als wäre nichts geschehen?

„Die Güte des Herrn ist´s, dass wir nicht gar aus sind, seine Barmherzigkeit hat noch kein Ende.“

Es drückt sich in diesen Worten auch etwas von der schweren Pflicht der Kirche aus, ganz gleich was in der Welt geschieht, immer und überall von der Barmherzigkeit Gottes zu zeugen.

Wir zeugen von der Barmherzigkeit Gottes gerade gegen all jene, die jedes Unglück, jede Katastrophe, jeden Tod zum Anlass nehmen, um die Verantwortung Gottes zu beschwören und ihn vor das Gericht der Menschen zu zerren. Auch im Evangelium begegnet uns das: Martha spricht nämlich, „Herr, wärest du hier gewesen, dein Bruder wäre nicht gestorben!“

Jeremia aber entdeckt in der Finsternis von Untergang und Tod die Barmherzigkeit Gottes, und er redet von ihr.

Die Barmherzigkeit Gottes ist jeden Morgen neu und seine Treue ist groß.

Es ist faszinierend zu sehen, wie Jeremia sich im Glauben aus den Trümmern seiner Welt herausarbeitet und damit eben auch eine Frömmigkeit spürbar werden lässt, die nicht im Kult, im Tempel und im Gesetz als Grundlage der staatlichen Ordnung gründet, sondern allein in dem persönlichen Vertrauen zu seinem Gott. Er kann darum auch sprechen: Der Herr ist freundlich dem, der auf ihn harrt, und dem Menschen, der nach ihm fragt. Es ist ein köstlich Ding, geduldig sein und auf die Hilfe des Herrn hoffen.

Diese letzte Sentenz ist sogar sprichwörtlich geworden. Sprichwörtlich wiederum werden Redewendungen ja sehr oft nur dann, wenn Menschen spüren, dass mit ihnen etwas ganz Neues, bislang Unerhörtes beginnt. Und tatsächlich beginnt mit Jeremia dieser ganz individuelle Glaube von Person zu Person, der sich im Grunde erst in Christus erfüllt aber bereits mit Jeremia als Hoffnung konstituiert. Das Fundament dieser Weise zu Glauben ist die Gewissheit, dass sich aus dem Gottesverhältnis eine ganze Welt und auch das Leben selbst erneuern kann.

Jeremia spricht hier im Grunde schon genau das aus:

Denn der Herr verstößt nicht ewig; sondern er betrübt wohl und erbarmt sich wieder nach seiner großen Güte.

Er spricht aus, was sich in der Begegnung mit Christus erfüllt. Jeremia ist darum vielleicht, wenn man das so sagen kann, der evangelischste unter den alttestamentlichen Propheten.

Christus spricht: „Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, der wird leben, ob er gleich stürbe;“

In der Begegnung mit Christus erneuert sich die Welt. In der Begegnung mit ihm wird auch der Tod überwunden. In ihm wird alles lebendig.

Es geht darum im weiteren Verlauf der Geschichte gar nicht mehr so sehr um die Wiederherstellung des Tempels. Wohl wird der Tempel in der Esra-Nehemia-Zeit noch einmal errichtet und durch Herodes erneuert. Aber doch nur, um im Jahre 70 endgültig zerstört zu werden. Er hat aber längst nicht mehr die Rolle gespielt, wie das salomonische Gotteshaus. Das jüdische Volk suchte, sich nach der Zerstörung des Tempels im Glauben zu erneuern. Diese neue Form des Glaubens verwirklichte sich eben nicht mehr im kultischen Dienst und im Opfer, sondern in der Suche nach einer lebendigen Beziehung zu Gott und im sehnsüchtigen Warten auf den Messias.

Beides nun tritt uns in Christus entgegen. Er bringt sich selbst zum Opfer dar und überwindet und erneuert dadurch zugleich das Opfer.

Er ist selbst der Tempel, denn in ihm, in Christus, wohnt Gott unter uns. Alles wird in der Beziehung zu ihm neu.

So kann auch die Erfüllung aller frommen Haltungen, die im Tempel eingeübt wurden nur in der Begegnung mit Christus gefunden werden.

So wie Jeremia, das ganze Volk Israel über den zerstörten Tempel geklagt hatte, so klagen Maria und mit ihr die Kirche über den gestorbenen Christus, dürfen aber nun zugleich bekennen: Du bist die Auferstehung und das Leben!

Amen

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.

Amen
Thomas Roloff

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